Oppositionspolitik der SPD:Mal Mitarbeit, mal Widerstand

Die SPD entdeckt die Flexibilität: Während die Sozialdemokraten gegen die Atompolitik der Regierung protestieren, will die Mehrheit der Fraktion das neue Afghanistan-Mandat mittragen.

Susanne Höll, Berlin

Am 24. April, einem Samstag, ist Sigmar Gabriel fest verabredet. Im deutschen Norden, irgendwo zwischen den AKW-Meilern Brunsbüttel und Krümmel wird er sich in eine Menschenkette einreihen und gegen die Atompolitik der schwarz-gelben Bundesregierung protestieren. Über 120 Kilometer soll sich die Kette der Demonstranten ziehen, unter anderem quer durch Hamburg.

Oppositionspolitik der SPD: Ein Kurs zwischen Kooperation und Widerstand: Die SPD unter Sigmar Gabriel verteidigt ureigene SPD-Prjekte und lenkt beim Theme Afghanistan ein.

Ein Kurs zwischen Kooperation und Widerstand: Die SPD unter Sigmar Gabriel verteidigt ureigene SPD-Prjekte und lenkt beim Theme Afghanistan ein.

(Foto: Foto: Getty)

Gabriel wird nicht der einzige prominente Sozialdemokrat bei dieser Großaktion sein, auch andere Spitzenpolitiker aus den Landesverbänden und der Fraktion werden kommen, wenn auch vielleicht nicht in jedem Fall ganz freiwillig. Denn es besteht sozusagen Anwesenheitspflicht, schließlich hat der Vorstand der Bundes-SPD Basis und Funktionäre zu dieser Protestaktion gebeten.

Das ist, wenn man so will, eine kleine Sensation, jedenfalls für die Sozialdemokraten. Denn mit Ausnahme vom Tag der Arbeit und der großen Aktion gegen Rechtsradikalismus 2005 hat das Willy-Brandt-Haus seit langer Zeit nicht mehr zur Teilnahme an einer bundesweiten Demonstration aufgerufen. Das ist verständlich, schließlich haben die Sozialdemokraten in den vergangenen elf Jahren regiert und konnten nicht gegen ihre eigenen Minister auf die Straße gehen. Doch nun ist sie in der Opposition.

Zwischen Kooperation und Widerstand

Und Gabriel hatte bereits vor seiner Wahl angekündigt, dass mit seinem Einzug ein neuer Wind in der Partei wehen solle, dass man engere Kontakte zu Umwelt-, Jugendverbänden und sonstigen nicht-staatlichen Initiativen suchen werde, um die SPD wieder in der Bevölkerung zu verankern. Man müsse wieder "Nervenenden" in der Gesellschaft finden, sagte Gabriel in seiner Bewerbungsrede für das Vorsitzendenamt im November.

Deshalb üben sich Sozialdemokraten nun wieder offiziell im außerparlamentarischen Protest - und arbeiten zugleich in Berlin mit der schwarz-gelben Bundesregierung in einigen Fragen ganz eng zusammen, garantieren Union und FDP Mehrheiten und Abstimmungserfolge in beiden Kammern des Parlaments, stellen diese zumindest in Aussicht. Gut 100 Tagen nach ihrer katastrophalen Wahlniederlage hat die SPD ihren Oppositionskurs festgezurrt: Der verläuft, je nach Thema und Interessenlage der Partei, zwischen Kooperation und Widerstand.

Beim Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ist die Interessenlage der SPD-Führung eindeutig. Sie will mit dem Wechsel in die Opposition keine Kehrtwende vollziehen und der deutschen Mission die Zustimmung entziehen. Obgleich noch keine offizielle Entscheidung gefallen ist, dürften deutlich mehr als 100 der insgesamt 146 SPD-Abgeordneten das neue Afghanistan-Mandat unterstützen, heißt es aus Fraktionskreisen.

Staatstragende Politik auch in der Opposition

Etwa zwei Dutzend werden nach internen Schätzungen ihre Zustimmung verweigern. Den Kritikern dieser von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausdrücklich erbetenen Unterstützung halten Gabriel und der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier entgegen, dass das neue Mandat ausdrücklich den SPD-Forderungen entspricht.

Die ersten deutschen Truppen sollen schon kommendes Jahr nach Hause kommen, die letzten Kampfeinheiten möglichst bis 2015. Die SPD beansprucht für sich die Meinungsführerschaft in der Afghanistan-Frage - die Kooperation mit der Regierung soll nach dem Willen der SPD-Spitze als Zeichen dafür gewertet werden, dass sie auch in der Opposition staatstragende Politik betreiben und glaubwürdig bleiben könne.

Bei der vom Bundesverfassungsgericht verlangten Reform der Job-Center treibt die SPD weniger staatliches als das eigene Interesse. Der schwarz-gelben Koalition hat sie ihre Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung in Aussicht gestellt. Ohne ihre Hilfe fehlte Union und FDP im Bundestag und Bundesrat die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit.

Kooperation bei ureigenen SPD-Projekten

Die Neuregelung soll ermöglichen, dass Arbeitssuchende weiterhin in Job-Centern betreut werden können. Würde sich die SPD verweigern, riskiert sie Ärger mit ihrer verbliebenen Stammklientel der Arbeitnehmer und würde sich blamieren. Schließlich hatte sie in ihrer Regierungszeit einen ziemlich präzisen Vorschlag für eine Neuordnung erarbeitet.

Wann die Bundes-SPD zur nächsten Großdemo aufrufen wird, steht noch nicht fest. Gabriel, der dem Temperament nach zum Widerstand neigt und der eher staatstragende Steinmeier sind sich nach Parteiangaben aber in einem einig: Sie sind grundsätzlich zur Kooperation mit der Regierung bereit, wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht oder um ureigene SPD-Projekte.

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