Süddeutsche Zeitung

Widerstand gegen Regierung:Wie Posen zum Bollwerk eines freien Polens wird

Homosexuellen-Paraden, Eintreten für Flüchtlinge, Kritik an der katholischen Kirche: Der Oberbürgermeister von Poznań stellt sich gegen die konservative Regierung. Und die schlägt zurück.

Von Florian Hassel, Poznań

Es gibt nicht viele Bürgermeister, die sich ohne Zögern mit dem Verteidigungsminister anlegen. Doch als im westpolnischen Poznań (Posen) der 60. Jahrestag eines Aufstandes gegen Polens Kommunisten anstand, überlegte Oberbürgermeister Jacek Jaśkowiak nicht lange. Verteidigungsminister Antoni Macierewicz wollte auch den "Appell von Smolensk" verlesen lassen: ein militärisches Ehrenzeremoniell, das Polens im April 2010 bei einem Flugzeugabsturz gestorbenen Präsidenten Lech Kaczyński in eine Reihe stellt mit polnischen Kriegshelden. Zwar starb der Präsident nicht als Kriegsheld, sondern durch Fehler der Piloten. Doch Kaczyński war der Zwillingsbruder von Jarosław Kaczyński, Chef der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) - und der "Appell von Smolensk" gehört zur neuen Partei- und Staatsmythologie.

Oberbürgermeister Jaśkowiak jedoch verbat sich die Vermischung des Posener Gedenkens mit dem an Smolensk. Der Verteidigungsminister ging darauf aber nicht ein, so lud Jaśkowiak die Armee kurzerhand aus vom Posener Gedenken. Als der Minister trotzdem mehrere Busse mit Soldaten schickte, ließ der Oberbürgermeister die Durchfahrt sperren. Die offizielle Gedenkfeier am 28. Juni 2016 fand in Posen ohne die Armee statt - und ohne Smolensk-Appell.

Auch bei anderer Gelegenheit tritt Posens Oberbürgermeister demonstrativ auf gegen das, was der Regierung gefällt. Als erstes polnisches Stadtoberhaupt ließ Jaśkowiak im 540 000 Einwohner zählenden Posen nicht nur eine Schwulen- und Lesbenparade zu, sondern marschierte auch demonstrativ mit. Jaśkowiak tritt für die Aufnahme von Flüchtlingen ein und für das Recht auf Abtreibung, er protestiert gegen polnische Ultranationalisten. Und wenn die Regierung Geld für künstliche Befruchtung für kinderlose Paare streicht, beschließt Posens Stadtrat genau dafür ein Förderprogramm.

In nur zweieinhalb Jahren ist der Oberbürgermeister über Posen hinaus bekannt geworden. Für Polen, die in den Städten das letzte Bollwerk demokratischer Opposition gegen undemokratisches Vorgehen der Regierung sehen, verkörpert er die Hoffnung. Bürgergruppen nennen die Stadt schon "Freie Stadt Poznań".

Polit-Neuling Jaśkowiak lehnt es ab, landesweit die Opposition anzuführen

Polens Frauenbewegung hält ihren Jahreskongress dieses Jahr in Posen ab, zum Dank für Jaśkowiaks Eintreten für Frauenrechte. "Geben die Hotels Rabatte? Wo sitzen Frauen im Vorstand großer Firmen?", fragte Jaśkowiak bei der Vorbereitung eine Mitarbeiterin. "Als Sponsor", so der OB, "müssen wir Solange Olszewska gewinnen", sie ist Chefin des Busherstellers Solaris, eine polnische Vorzeigeunternehmerin. "Wir laden Frauen aus anderen Ländern ein und organisieren Panels zu Wirtschaft, Kultur und Rechtsfragen. Es wird das wichtigste Ereignis des Jahres für unsere Stadt."

Jaśkowiak wurde erst 2014 gewählt - und recht viel länger ist er nicht in der Politik. Der Jurist war zuvor Inhaber einer Firma für Unternehmensbuchhaltung und -bewertung, in Posen ist er inzwischen auch als Amateurboxer, Marathonläufer und Organisator von Skirennen bekannt.

Als Jaśkowiak ins Amt kam, stellte er fest, dass die Stadt viel Geld dafür zahlte, dass Straßenbahnschienen auf kirchlichem Grund verliefen, dass aber die Kirche ihrerseits nur symbolische Beträge überwies für die Nutzung städtischer Gelände. Er veröffentlichte die Zahlen der Stadt-Kirche-Finanzen und forderte Nachbesserung: Das war eine Premiere in Polen, wo Privilegien der katholischen Kirche nicht infrage gestellt werden. Jaśkowiak verbot der Kirche auch, ohne Genehmigung des Denkmalpflegers eine riesige Christus-Figur in einem städtischen Park aufzustellen.

Kritik an der katholischen Kirche wird zur Machtprobe

Der Schlagabtausch mit der Kirche machte Jaśkowiak über seine Stadt hinaus bekannt. Schon steht die nächste Kraftprobe an. Kulturminister Piotr Glinski will Posen für das Theater- und Kulturfestival "Malta" den zugesagten Zuschuss streichen, sollte Posen an dem Kurator, dem kroatischen Regisseur Oliver Frljic, festhalten. Dieser verursachte kürzlich in Warschau einen Skandal: In einer Theaterinszenierung über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche wird an einer Statue von Papst Johannes Paul II. Oralsex imitiert. "Wir führen das Festival auf jeden Fall mit Frljic durch. Und wenn der Minister nicht zahlt, verklagen wir ihn. Vertrag ist Vertrag", sagt Jaśkowiak.

Da sich auch in Danzig der Oberbürgermeister gegen die Regierung auflehnt, will die Pis-Regierung die Regionen nun stärker unter ihre Kontrolle bringen. Kompetenzen werden entzogen, von Bildung und Gesundheit bis zum Umweltschutz und Finanzen. Für Warschau ließ die Pis ein Gesetz entwerfen, um die Hauptstadt mit umliegenden, mehrheitlich von der Pis kontrollierten ländlichen Gemeinden zur "Metropolregion Warschau" zu vereinigen - und so einen Pis-Kandidaten als Warschauer OB durchsetzen zu können.

Eine andere Idee ist, Bürgermeistern - die meisten stellt die Opposition - höchstens zwei Amtszeiten zu erlauben. Das wäre bei den Kommunalwahlen 2018 das Aus etwa für Danzigs Bürgermeister. Neuling Jaśkowiak hätte noch Schonfrist. Doch die Regierung verfügt über weitere Druckinstrumente: etwa den für Korruptionsbekämpfung zuständigen Geheimdienst CBA, der schon früher gegen die Opposition eingesetzt wurde, und den Justizminister, der seit 2016 auch Generalstaatsanwalt ist. Schon wird gegen mehrere Oberbürgermeister ermittelt. "Einige Pis-Stadträte haben schon ausrichten lassen, dass sich die Dienste meiner auch noch annehmen würden", sagt Jaśkowiak.

Als die führende Oppositionspartei Bürgerplattform Anfang Mai zur Protestdemo nach Warschau lud, war Jaśkowiak prominenter Redner. Doch eine nationale Rolle schließt er aus: "Ich brauche noch Jahre, um meine Pläne für Posen zu verwirklichen." Er fände es schlimm, "wegen ein paar Äußerungen zu glauben, ich wäre auf einmal ein Politiker von nationalem Format". Seine Bodenständigkeit hat auch mit seinem Hobby Boxen zu tun. Seit sich Jaśkowiak in einem Showkampf für herzkranke Kinder im Ring vom ehemaligen Weltmeister Dariusz Michalszewski eine Rippe brechen ließ, trainiert er jede Woche - mit einem Profi. "Jedes Mal, wenn ich mehr Treffer abbekomme, als ich eigentlich vertrage, hilft mir das, auf dem Boden zu bleiben."

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Quelle:
SZ vom 20.05.2017/lot
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