Südkorea:Politik mit Staatsanwalt

Südkorea: Lee Jae-myung (Mitte) von der Demokratischen Partei ist Südkoreas wichtigster Oppositionsführer.

Lee Jae-myung (Mitte) von der Demokratischen Partei ist Südkoreas wichtigster Oppositionsführer.

(Foto: Ahn Young-joon/AP)

Die Staatsanwaltschaft ermittelt in einer ganzen Serie von Fällen, die die Opposition belasten. Alles Kalkül der konservativen Regierung? Zumindest die Gegner von Präsident Yoon Suk-yeol sehen es so.

Von Thomas Hahn, Tokio

Diesmal konnte Oppositionsführer Lee Jae-myung das Gebäude der Staatsanwaltschaft schon nach zehn Stunden verlassen. Das war für den Chef der Demokratischen Partei Südkoreas (DPK) ein kleiner Fortschritt im Vergleich zu seiner ersten Befragung am 10. Januar in Seongnam. Bei der musste Lee nämlich zwölf Stunden lang Antworten geben zu dem Verdacht, die Regierung der Stadt Seongnam habe zu seiner Zeit als Bürgermeister mit Gefälligkeiten Spenden in Höhe von 17 Milliarden Won, umgerechnet 12,7 Millionen Euro, für den örtlichen Fußballklub erwirtschaftet.

Bei seiner zweiten Vorladung am Samstag in Seoul ging es um einen weiteren Korruptionsverdacht, diesmal im Zusammenhang mit einem Immobilienprojekt in Seongnam. Wieder beteuerte Lee seine Unschuld. Wieder beklagte er, dass die Ermittlungen von der konservativen Regierung gesteuert würden. "Das hier ist der Ort, an dem die Yoon-Suk-yeol-Diktatur mit Hilfe der Staatsanwaltschaft die Rechtsstaatlichkeit zerstört", sagte Lee Jae-myung den wartenden Reportern am Samstagmorgen vor dem Termin.

Wer in den beiden Fällen tatsächlich politische Interessen verfolgt, ist für neutrale Beobachter schwer zu durchschauen. Stimmt die Behauptung, dass der Ex-Staatsanwalt Yoon von der Rechts-Partei PPP als Präsident Südkoreas seine alten Kollegen zu einem Feldzug gegen seinen DPK-Gegenspieler ermuntert hat? Oder will der ehrgeizige Mitte-links-Populist Lee damit von den dunklen Punkten seiner Karriere ablenken? Jedenfalls scheint die Demokratie-Elite in Südkorea dieser Tage mehr mit sich selbst als mit den Problemen ihrer Wählerinnen und Wähler beschäftigt zu sein.

Eine Reihe von Fällen mutmaßlicher Korruption

Korruption ist nichts Neues in Südkoreas Politik. Yoon Suk-yeol selbst leitete als Ankläger einst die Ermittlungen, die 2018 die konservative Ex-Präsidentin Park Geun-hye wegen Machtmissbrauchs und anderen Delikten ins Gefängnis brachten. Im gleichen Jahr musste auch der Konservative Lee Myung-bak, Präsident von 2008 bis 2013, wegen Bestechlichkeit, Untreue und Machtmissbrauch hinter Gitter. Sie sind mittlerweile begnadigt, aber beide sahen sich seinerzeit als Opfer einer politischen Kampagne. Und nun laufen also neue Ermittlungen gegen Politiker - wobei diesmal auffällig ist, dass sich ständig Leute aus der DPK rechtfertigen müssen.

Im Mai 2022 trat Yoon Suk-yeol die Nachfolge des vorigen Präsidenten Moon Jae-in von der DPK an. Seither hat die Staatsanwaltschaft eine ganze Serie von Fällen aufgetan, die von mutmaßlicher Korruption bei den Demokraten oder der vorigen Regierung erzählen. Im Oktober wurden zum Beispiel Ex-Verteidigungsminister Suh Wook und der frühere Generalkommissar der Küstenwache, Kim Hong-hee, verhaftet, weil sie Informationen zum Todesfall eines Fischereibeamten zurückgehalten haben sollen; dieser war 2020 bei einer Ausfahrt im zwischenkoreanischen Grenzgebiet unter mysteriösen Umständen über Bord gegangen und später von nordkoreanischen Soldaten erschossen worden.

Im Dezember beantragte die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl für den DPK-Abgeordneten Noh Woong-rae, weil er 2020 etwa 60 Millionen Won, knapp 45 000 Euro, an illegalen Spenden von einem Geschäftsmann angenommen haben soll. Noh ist nur deshalb noch frei, weil er als Abgeordneter während der Sitzungsperiode Immunität genießt und die DPK-Fraktion seine Verhaftung blockierte.

Im Herbst verhaftete die Polizei außerdem zwei Vertraute von Lee Jae-myung. Und zwar im Rahmen der Ermittlungen zu besagtem Immobilienskandal in Seongnam, bei dem dubiose Absprachen mit der Stadt einer privaten Vermögensgesellschaft riesige Gewinne gebracht haben sollen. Jeder Zugriff der Staatsanwaltschaft brachte Schlagzeilen. Diverse Razzien verstärkten den Eindruck, dass die DPK etwas zu verbergen haben könnte. Und mittlerweile hat sich die Staatsanwaltschaft also bis zum Chef der Opposition vorgearbeitet.

Die DPK-Regierung setzt 2021 eine Justizreform um

Lee Jae-myung ist ein zupackender Karrierepolitiker. Nach seiner Zeit als Bürgermeister war er von 2018 bis 2021 Gouverneur der bevölkerungsreichsten südkoreanischen Provinz Gyeonggi. Dann erkämpfte er sich in der DPK die Spitzenkandidatur für die Präsidentschaftswahl 2022, unterlag dort knapp dem Politik-Neuling Yoon und will es vermutlich bei der nächsten Wahl 2027 wieder versuchen. Mit seiner unberechenbaren Art ist er allerdings selbst unter Linksgesinnten nicht unumstritten. Und dass DPK-Mitglieder grundsätzlich weniger anfällig für schmutzige Geschäfte seien als konservative Establishment-Politiker, ist spätestens seit dem Rücktritt des skandalumwitterten Cho Kuk als Justizminister im Oktober 2019 eine Theorie mit Dellen.

Trotzdem wirkt der Eifer, mit dem sich die Staatsanwaltschaft derzeit der Opposition widmet, nicht sehr ausgewogen. Er passt eher zu dem Zorn, mit dem Yoon Suk-yeol im März 2021 als Generalstaatsanwalt zurücktrat. Die DPK-Regierung zog damals eine Justizreform durch, die der Allmacht von Staatsanwälten vorbeugen sollte.

Lee Jae-myung streitet jedenfalls alle Vorwürfe ab. Bei dem mutmaßlichen Immobilienskandal habe er im Gegenteil Kosten an Privatfirmen weitergegeben und der Stadt Seongnam so zu mehr Profit verholfen, erklärte er am Samstag der Staatsanwaltschaft. Als der Termin am Abend zu Ende war, sagte er zu den wartenden Reportern: "Ich kann nicht anders, als zu glauben, dass die Staatsanwälte den Fall nur fabrizieren, um mich anzuklagen, und nicht, um die Wahrheit aufzudecken."

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