Opposition in Russland:Kreml-Kritiker Nawalny wird der Prozess gemacht

Russian opposition leader and anti-graft blogger Navalny looks on after arriving for a court hearing in Kirov

An diesem Mittwoch beginnt in der Provinzstadt Kirow der Strafprozess gegen den oppositionellen Blogger und Anwalt Alexej Nawalny

(Foto: REUTERS)

Eine Galionsfigur der Putin-Gegner: Der Blogger Alexej Nawalny deckt Korruption in der Politik auf - nun könnte er im Gefängnis landen. Für die russische Opposition wäre die Verhaftung des Aktivisten ein schwerer Schlag. Sie würde die Atmosphäre der Unsicherheit verstärken.

Von Frank Nienhuysen, Moskau

Ein paar Sachen hat er im Geiste schon gepackt: Schlappen, eine Badehose, schnurlose Turnschuhe, Sporthosen und ein Foto der Familie - das will er an die Zellenwand kleben. Alexej Nawalny ist bereit zu einer langen Reise, mit seiner Frau hat er alles durchgesprochen. Der Kreml-Kritiker möchte 2018 Russlands Präsident werden und Wladimir Putin ablösen, aber vorher wird er womöglich im Gefängnis landen. Es könnten bis zu zehn Jahre werden.

An diesem Mittwoch begann in der Provinzstadt Kirow ein Strafprozess gegen den oppositionellen Blogger und Anwalt, Anti-Korruptions-Kämpfer und Anführer der Straßenproteste - und wurde kurz nach Beginn um eine Woche vertagt. Doch Alexej Nawalny hat nicht den geringsten Zweifel an einem Schuldspruch. "Sie haben den ganzen Fall fabriziert, übers Fernsehen verbreitet - und danach sollen sie mir einen triumphalen Sieg erlauben?", fragte er in der Zeitung Moskowskij Komsomolez. Allenfalls eine Bewährungsstrafe könne er sich vorstellen; einen Freispruch hält er für undenkbar.

Die Staatsanwaltschaft wirft Nawalny vor, dass er vor einigen Jahren ein staatliches Holz verarbeitendes Unternehmen dazu genötigt habe, Holz weit unter dem Marktpreis zu verkaufen. Dem Staat sei ein Schaden von 16 Millionen Rubel (etwa 400.000 Euro) entstanden. Nawalny soll dabei seinen früheren Status als Berater der Regionalregierung von Kirow missbraucht haben. "Da ist nichts Originelles erfunden worden. Es ist alles banal und langweilig", sagte der Sprecher der Ermittlungsbehörde, Wladimir Markin, und bestritt, dass es dieses Verfahren überhaupt nur deshalb gebe, weil Nawalny darin vorkommt. Aber er gab auch zu, dass der Prozess beschleunigt wurde, da der Angeklagte "mit allen Mitteln Aufmerksamkeit auf sich zieht". Allein diese Aussage würde in einem Rechtsstaat schon genügen, um den Fall zu schließen, schrieb der Milliardär Michail Prochorow in seinem Blog.

Ohnehin liegt der Fall "KirowLes" bereits Jahre zurück und war zwischenzeitlich eingestellt worden, weil ein Straftatbestand zunächst nicht festgestellt werden konnte. Kritiker halten den Prozess deshalb für konstruiert. Der kürzlich verstorbene Chodorkowskij-Anwalt Jurij Schmidt vermutete dahinter "einen politischen Auftrag". Nawalny selber hält sogar Präsident Putin und Russlands obersten Ermittler Alexander Bastrykin für die treibenden Kräfte in seinem Fall. "Er und seine Umgebung müssen ihre Macht erhalten", sagte er über den Kremlchef. Und versprach ironisch, demjenigen Russen 20 Kubikmeter Holz zu schenken, der ihm eine Schuld nachweisen könne.

Der Prozess gegen den 37-jährigen Nawalny fällt in eine symbolhafte Zeit. Am 7. Mai jährt sich Putins Rückkehr ins Präsidentenamt. Mit einem Protestmarsch wollen seine Gegner an die Festnahmen am Tag vor der Vereidigung erinnern. Fast drei Dutzend Regierungskritiker sind wegen der gewaltsamen Zusammenstöße mit der Polizei vor einem Jahr im Visier der Justiz. Einige sind in Haft, andere stehen mit elektronischen Fußfesseln unter Hausarrest. Die Anklagen reichen bis hin zur "Organisation von Massenunruhen".

"Partei der Gauner und Diebe"

Nawalny ist einer der Anführer der russischen Straßenproteste, einer der bekanntesten Herausforderer des Staates. Aber in den nächsten Tagen und Wochen wird sein Name in den staatlichen Fernsehnachrichten mit allerlei anderem verknüpft: mit Holzdiebstahl, Veruntreuung, möglicher Haftstrafe. Er selber kommt in den großen Kanälen nicht zu Wort und muss sich seit Jahren mit dem Internet- und Kabelsender Doschd (deutsch: Regen) begnügen, der ihm immer wieder Interviews ermöglicht. Die Chancen stehen also schlecht für Nawalny.

Mehr und mehr Russen wünschen sich einen neuen Präsidenten

Für die russische Opposition wäre die Verhaftung des Bloggers ein schwerer Schlag. Sie könnte die Atmosphäre der Unsicherheit verstärken, nachdem der Dokumentarfilm "Anatomie des Protests" im Fernsehen kräftig Stimmung gegen die Opposition machte. Auch andere Protagonisten der Protestbewegung, etwa Sergej Udalzow, müssen mit Gefängnisstrafen rechnen. Auch wenn die politische Führung im Fall Nawalny auf die Buchstaben des Gesetzes verweist: Sie hätte doch einen unbequemen Gegner weniger.

Nawalny hat die Kraft der neuen Medien genutzt, hat Dokumente über Korruptionsfälle ins Internet gestellt und die Sozialforen als Bühne gewählt, die ihm das Fernsehen nicht bietet. Und er spitzt zu. Vor der Parlamentswahl Ende 2011 rief er die Russen dazu auf, sie könnten für jede Partei stimmen, nur nicht für die "Partei der Gauner und Diebe". Die pointierte Bezeichnung für die Regierungspartei Einiges Russland trug fortan die Stimmung im kritischen Teil der Bevölkerung. Auch wenn zuletzt Nawalnys Popularitätswerte gesunken sind, so hatte er doch längst ein Netz geknüpft, das Vertreter der Elite als Bedrohung empfinden konnten.

Dem Pipeline-Monopolisten Transneft warf er Veruntreuung in Milliardenhöhe vor. Den Leiter der Ermittlungsbehörde, Alexander Bastrykin, beschuldigte Nawalny, er habe Immobilien in Tschechien und gehe dort eigenen Geschäftsinteressen nach. Kürzlich wies der Aktivist nach, dass der Chef der Ethik-Kommission in der Duma teure Immobilien in Florida besitzt. Woraufhin dieser zurücktrat. Und Nawalny hat Nachahmer gefunden. Blogger, die Grundstücke von hohen Funktionären aufspüren, Plagiatsjäger, die nach erschummelten Doktorarbeiten hoher Beamter und Politiker suchen.

Präsident Putin sitzt fest im Amt. Aber nach einer Umfrage des Lewada-Instituts wünschen sich mehr und mehr Russen 2018 einen neuen Präsidenten. Sollte Nawalny verurteilt werden, kommt er für die Wähler jedenfalls schon mal nicht infrage. Aber wie sagte doch Markin, der Sprecher der Ermittlungsbehörde: "Sogar im Gefängnis schreiben viele Häftlinge Briefe und kämpfen gegen die Schwächen des Systems."

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