Süddeutsche Zeitung

Opposition in Havanna:Obama besucht Kuba - doch das freie Leben lässt auf sich warten

Dissidenten hofften, dass ihnen die Annäherung an die USA politische Freiheit bringt. Aber Regierungskritiker werden in Kuba immer noch eingesperrt und bedroht.

Von Benedikt Peters

Sechzig Frauen marschieren schweigend über die Quinta Avenida, eine breite Straße in Miramar, einem Nobelviertel von Havanna. In ihren Händen halten sie rosafarbene Lilien, eine Frau trägt ein Schild: "No Violencia" - Keine Gewalt. Doch die Gewalt kommt in zwei Bussen. Reifen quietschen, Männer in roten T-Shirts und Polizisten springen heraus.

"Ihr Konterrevolutionäre! Ihr Würmer!" schreien sie. Mit Gummiknüppeln schlagen sie auf die Frauen ein, drehen ihnen die Arme auf den Rücken. Handschellen klicken. Die Frauen werden in die Busse gezerrt und weggefahren.

Es ist ein heißer Sonntag im August. Zwei Tage zuvor haben die USA ihre Botschaft in Havanna wiedereröffnet, die "Stars and Stripes" weht jetzt wieder über der Vertretung am Malecón, dem Küstenboulevard von Havanna. Es war der vorläufige Höhepunkt der Annäherung zwischen Kuba und den USA, die US-Präsident Barack Obama und sein kubanischer Kollege Raúl Castro im Dezember 2014 angekündigt hatten. "Heute wollen die Vereinigten Staaten als Partner das Leben der normalen Kubaner ein bisschen einfacher machen, freier und wohlhabender", hatte Obama damals im Fernsehen gesagt.

Ein bisschen einfacher ist das Leben in den 16 Monaten der Annäherung zumindest für einige Kubaner geworden. Nämlich für die, die wohlgesonnene Verwandte in den USA haben. Kubaner können jetzt beispielsweise bei US-Banken Konten eröffnen. Das erleichtert Geldüberweisungen auf die Karibikinsel. Angesichts hoher Lebensmittelpreise und sehr niedriger Löhne sind viele Kubaner darauf angewiesen.

Mit dem freien Leben aber sieht es anders aus. Das sagt zumindest der regierungskritische Journalist Roberto Guerra. Er hat eine kleine Wohnung in einem der zahlreichen Viertel der Hauptstadt, wo die Wände längst keine Farbe mehr haben und regelmäßig Häuser einstürzen. Er führt das Informationszentrum "Hablemos", das bedeutet so viel wie "Lasst uns reden".

Lage der Dissidenten - schlimmer als zuvor

Wenn man Guerra besucht, klingelt ständig sein Telefon. Die Leute melden politische Festnahmen und Drangsalierungen durch die Polizei oder Agenten der kubanischen Staatssicherheit. Guerra prüft die Fälle, dann speist er sie in eine Statistik ein und veröffentlicht Artikel darüber.

Guerras Statistik besagt: Die Lage der Dissidenten ist seit Beginn der Annäherung an die USA nicht besser geworden, eher schlimmer. Für 2015 hat Guerra 8074 politische Festnahmen dokumentiert. 2013, als zwischen Washington und Havanna noch Eiszeit herrschte, waren es 2400 weniger.

Jede Festnahme hat er mit einem Namen und einer Beschreibung versehen. Auch die Frauen mit den Lilien, die im August auf der Quinta Avenida festgenommen wurden, hat er vermerkt. "Aliuska Gómez wurde von Mitarbeitern der Staatssicherheit und der Polizei geschlagen und festgenommen", heißt es da etwa. "Sie wurde in die Militärbasis Tarará gebracht. Sie war fünf Stunden in Haft. Man gab ihr kein Wasser, sie durfte nicht auf die Toilette."

Gómez gehört, wie die anderen an dem Tag festgenommenen Frauen, zu der oppositionellen Gruppe der "Damen in Weiß". Sie fordern unter anderem freie Wahlen und den Rücktritt Raúl Castros. 2005 bekam die Gruppe den Sacharow-Preis für Menschenrechte des Europäischen Parlaments.

Bei ihren wöchentlich stattfindenden Protestmärschen in Miramar sind die Festnahmen ein trauriges Ritual - wenn die Damen auf die Straße gehen, kommt fast immer die Polizei und sperrt sie für ein paar Stunden weg. Die Demonstrationen sollen so unterbunden werden.

Von Obama enttäuscht

Für kritische Journalisten, sagt Guerra, sei die Situation kaum besser. Sechs seiner Mitarbeiter seien allein seit Jahresbeginn festgenommen worden, darunter sein Bruder. Bei einem habe die Polizei Speicherkarten, USB-Sticks und Bücher konfisziert. Er selbst habe vor wenigen Tagen einen anonymen Anruf erhalten, von einem Agenten der Staatssicherheit, sagt Guerra. "Wir warten auf dich. Du wirst schon sehen, was dann passiert", habe der Anrufer gesagt.

Es lässt sich nicht zweifelsfrei überprüfen, ob alles stimmt, was Regierungskritiker Guerra sagt. Die Berichte kubanischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen, Amnesty International etwa, bestätigen aber die Drangsalierungen politischer Gegner. Im Amnesty-Bericht für 2015 ist von 8600 politischen Festnahmen die Rede.

Auch vor dem Besuch Obamas gab es wieder Festnahmen - allein am Samstag nach Medienberichten mehr als 200.

In Obamas Besuchsprogramm ist für Dienstag auch ein Treffen mit Dissidenten vorgesehen. Er wird sich dann ein Bild davon machen können, ob seine Ankündigung von Dezember 2014 schon ein wenig wahr geworden ist. Guerra jedenfalls ist von Obama enttäuscht. "Er sagt, die USA stünden für Menschenrechte und Demokratie. Bisher ist davon bei uns nichts angekommen."

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Quelle:
SZ vom 21.03.2016/gal
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