Süddeutsche Zeitung

Opferanwalt:"Das ist ein Justizskandal"

Der Rechtsanwalt Julius Reiter über die Verzweiflung der Hinterbliebenen.

Interview von Bernd Dörries

SZ: Herr Reiter, wie erklären Sie den Hinterbliebenen, dass das Gericht die Eröffnung der Hauptverhandlung abgelehnt hat?

Julius Reiter: Das ist ja fast nicht zu erklären. Ich habe damit zu keiner Minute gerechnet. Das ist ein Justizskandal. Für die Hinterbliebenen ist es eine totale Enttäuschung. Es gibt für sie keine Erklärung, die das nachvollziehbar machen kann. Vor allem die Hinterbliebenen im Ausland glauben nun, dass das alles von vornherein so geplant war vom deutschen Staat, der nicht wollte, dass seine Verwaltung ins Gefängnis kommt.

Ist es denn so?

Ich halte nichts von Verschwörungstheorien. Die Staatsanwaltschaft hat möglicherweise zu lange am Gutachter festgehalten. Das Gericht hat es sich jetzt einfach zu leicht gemacht. Die Richter stecken anscheinend lieber jetzt ein paar Tage Prügel ein, als ein zweifellos schwieriges Prozessverfahren durchzuziehen.

Das soll die Angehörigen auch vor Enttäuschungen schützen. Vor einem jahrelangen Verfahren ohne Ergebnis.

Davor wollen die Angehörigen aber gar nicht geschützt werden. Sie hatten große Hoffnungen gesetzt in einen Prozess. Für sie wäre allein der Rahmen einer solchen Verhandlung - eine große Messehalle, viele Beteiligte, ein großes Medieninteresse - ein Zeichen gewesen, dass man ihren Schmerz ernst nimmt. Jetzt sind sie noch verzweifelter.

Wie kann man ihnen helfen?

Ich fordere von Hannelore Kraft und den Parteien im Landtag, sofort einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Den wollte die Politik ja lange nicht, immer mit dem Hinweis auf das laufende Strafverfahren. Aber wenn es kein Verfahren mehr gibt, steht einem Ausschuss nichts mehr im Wege.

Setzen Sie denn Hoffnungen in so ein Gremium? Schiebt da nicht die eine Partei der anderen die Schuld zu?

Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Sie müssen sich das alles mal aus der Sicht der Opfer vorstellen. Da sterben Menschen, für sie ändert sich alles. Und für die Verantwortlichen bleibt alles gleich. Die Stadt Duisburg hat ja noch nicht einmal ihre Mitarbeiter ausgewechselt, die an der Planung beteiligt waren. Das wäre eine Vorverurteilung, hat mir der Oberbürgermeister gesagt. Dabei fehlt es einfach an Mut und politischem Willen, Konsequenzen zu ziehen. Es geht ja auch darum, dass so etwas nicht wieder passiert. Und dafür muss man genau herausfinden, warum dieses Unglück passiert ist.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2016
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