Opfer der Kundus-Luftangriffe:Was kostet ein Toter?

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Ein Jahr nach dem Luftangriff auf Tanklaster nahe Kundus haben die meisten Opferfamilien Geld vom deutschen Staat bekommen. Dem Opferanwalt Popal reicht das nicht. Doch spielt ausgerechnet er die seltsamste Rolle in dem Fall.

Thorsten Denkler, Berlin

Inzwischen laufen die Verhandlungen zwischen dem Opferanwalt Karim Popal und dem Verteidigungsministerium wieder - vergangenen Donnerstag gab es ein Treffen, kommenden Montag soll es ein weiteres geben. Die Fragen, um die es sich dreht, sind aber nach wie vor dieselben: Es geht darum, ob und wie die Hinterbliebenen der Opfer des Bombenangriffs von Kundus am 4. September 2009 entschädigt werden können.

Zerstörter Tanklaster nahe Kundus (Archivbild): Noch immer ist unklar, welche der Opfer Zivilisten waren und somit Anspruch auf eine Entschädigung haben. (Foto: AP)

Damals haben auf deutschen Befehl US-Kampfflugzeuge zwei Tanklaster in die Luft gejagt und mehr als 140 Menschen getötet. Genauer lässt sich die Opferzahl bis heute nicht angeben.

Seitdem recherchiert der Bremer Anwalt Popal auf eigene Faust und Rechnung, welche der Opfer Zivilisten waren und somit Anspruch auf eine Entschädigung haben. Mehrfach ist er nach Afghanistan gereist, hat mit Hinterbliebenen gesprochen, sich Vollmachten geben lassen, mit denen er der Bundesregierung als Opferanwalt entgegentreten kann. Er hat auch ein Rechercheteam zusammengestellt, das ungeklärten Fragen nachgeht.

Nach seinen Ermittlungen hat der Bombenangriff 137 zivile Opfer gefordert, 113 Tote habe er dokumentieren können. Darüber hinaus gebe es sieben Verletzte und 20 vermisste Personen.

Das Bundesverteidigungsministerium will sich auf diese Zahlen aber nicht verlassen. Es geht von 102 zivilen Toten aus und beruft sich dabei auf die afghanische Menschenrechtskommission, die von den einen als unabhängig bezeichnet, von Anwalt Popal jedoch als verlängerter Arm einer korrupten Regierung dargestellt wird.

Den Familien der Hinterbliebenen hat das Ministerium auf Grundlage dieser Zahlen inzwischen eine Unterstützungszahlung zukommen lassen - der Wort "Entschädigung" wird im Sprachgebrauch der Ministeriellen betont vermieden. 5000 Dollar seien bisher jeweils an 85 von 92 betroffenen Familien ausgezahlt worden. Von sieben Familien sei das Geld noch nicht abgerufen worden oder ein Ansprechpartner konnte nicht ausfindig gemacht werden.

Popal hält diesen Betrag für viel zu gering. Wenn schon Entschädigung, dann in der Höhe, wie sie auch in anderen Fällen gezahlt worden sei, forderte er an diesem Donnerstag in Berlin. Er hält 33.000 Dollar für angemessen. Zudem wirft er der Bundesregierung vor, nicht genau darauf geachtet zu haben, wem das Geld gegeben wurde. Zum Teil hätten Witwen und Waisen keinen Cent gesehen, weil ominöse Schwiegerväter mit dem Geld untergetaucht seien.

Im Bundesverteidigungsministerium wird nicht abgestritten, dass es solche Einzelfälle gab. Allerdings sei das nicht zu verhindern, wenn so ein Schwiegervater mit der beglaubigten Vollmacht der betroffenen Familie komme, um das Geld in Empfang zu nehmen.

Der Gesprächsfaden ist wieder aufgenommen

Popal will jetzt weiter für eine wesentliche höhere Entschädigung streiten. Doch in der Zwischenzeit sind Zweifel aufgekommen, ob Popal der richtige Gesprächspartner ist. Er soll mit Anwälten zusammengearbeitet haben, die sich Mandanten regelrecht beschaffen, um hinterher ein ordentliches Honorar für sich herauszuholen. Nach einem Bericht des ARD-Magazins Report Mainz soll er vorsichtig ausgedrückt recht offensiv Hinterbliebene und Opfer dazu bewegt haben, sich ihn als Anwalt zu nehmen.

Dabei sei sein Ziel nicht gewesen, möglichst viel Geld für die Opfer herauszuschlagen, sondern Hilfsprojekte vom Bund finanziert zu bekommen, mit denen den Hinterbliebenen Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht werden könnte.

Im Bundesverteidigungsministerium wurde diese Idee nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt allerdings bald mit Verweis auf die Sicherheitslage verworfen. Die Taliban, so die Überlegung, hätten sicher versucht, jedes Entschädigungsprojekt massiv zu sabotieren.

Popal leitet die Verhandlungen mit dem Bund inzwischen nicht mehr selbst. Er hat die renommierte Berliner Anwaltskanzlei Geulen und Klinger beauftragt, in seinem Namen mit dem Ministerium zu reden. Ob am Ende über die bislang gezahlten 5000 Dollar hinaus noch etwas mehr Geld an die Hinterbliebenen gezahlt wird, bleibt abzuwarten. Dass der zwischenzeitlich auch wegen der Vorwürfe gegen Popal unterbrochene Gesprächsfaden wieder aufgenommen wurde, kann den Betroffenen aber Hoffnung machen.

Denn trotz aller Zweifel an der Person Popal: Dass er Opfer und Hinterbliebene vertritt, ist unstrittig. Und dass nicht in allen Fällen 5000 Dollar reichen, um den Verlust das Familienernährers auszugleichen oder teure Operationen zu bezahlen, wird auch im Verteidigungsministerium durchaus wahrgenommen.

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