Süddeutsche Zeitung

Opernsänger Selcuk Cara:Bräunliche Bundesrepublik

Der türkischstämmige Opernsänger Selcuk Cara schildert sein deutsches Leben. Was er in seiner Jugend an Ausländerfeindlichkeit und Judenhass beobachtete, ist hochaktuell.

Rezension von Oliver Das Gupta

Selcuk Caras Lebenslauf liest sich wie eine reibungslose Karriere. Geboren in einer hessischen Kleinstadt nahe Frankfurt, nach dem Abitur bei Habermas Philosophie studiert, aufs Konservatorium gewechselt. Singt in Opern von Richard Wagner, führt bei preisgekrönten Kurzfilmen Regie. Und in seiner Freizeit schippert er mit seinem Plattbodenboot über die Nordsee.

Cara ist jetzt Mitte vierzig und hat ein Buch über seinen Werdegang geschrieben. Es ist leichtfüßig formuliert, aber keine leichte Lektüre. Der Untertitel "Mein vollkommen verrücktes deutsches Leben" wirkt ein wenig marktschreierisch und wird dem Inhalt nicht gerecht.

Denn verrückt ist Caras Vita nicht - eher voller schöner, aber auch kurioser und erschütternder Momente. Erschütternd deshalb, da er immer wieder auf Personen trifft, die ihn diskriminieren. Oder ihren kruden Gedanken freien Lauf lassen, weil sie meinen, sich bei ihm, dem türkischen Jungen, unbefangen zeigen zu können.

"Was willst du denn mit den Juden?", sagt der Nachbar

Da ist etwa der Nachbar, der dem Grundschüler erklärt, wie das mit der Shoa war. Cara hatte zuvor ferngesehen, spätabends kam ein Schwarz-Weiß-Film. Der Junge sieht Berge von Brillen und Koffern, sieht dünne Menschen in gestreiften Klamotten. Lampenschirme aus Menschenhaut. Und Leichen, viele Leichen. Er weiß, dass es Juden gibt, aber er weiß nichts von Antisemitismus, und auch nichts von der Judenvernichtung, wie sie von Nazi-Deutschland bis 1945 betrieben worden war.

Cara, ein Einzel- und Scheidungskind, wendet sich damals an den Nachbarn, einen Mitarbeiter einer Fluglinie, um den Film zu verstehen. Der sagt ihm: "Was willst du denn mit den Juden?" Das sei lange her, im Krieg passierten solche Dinge eben. Schüler Selcuk will wissen, was Krieg mit Lampen aus Menschenhaut zu tun hat. Dafür hat der Nachbar eine Erklärung: "Das ist Wiederverwertung von Rohstoffen."

Es gibt noch mehr solche frappierenden Szenen. Kindheitserlebnisse mit einem Spielkameraden, dessen Vater sich als Waffennarr und Rechtsextremist entpuppt, Nazi-Aufmärsche, die von Passanten einfach so hingenommen werden, das Hakenkreuz, das jemand an das Wohnhaus der Caras schmiert.

Das alles trägt sich im Westdeutschland der achtziger Jahre zu, vor der Wiedervereinigung, lange vor den mörderischen Brandanschlägen von Solingen und Mölln. Die alte Bundesrepublik war keine heile Welt, sie war auch bräunlich.

Damals schwadronierte noch niemand von Islamisierung, damals machte man anders Stimmung gegen türkischstämmige Menschen in Deutschland. Eines dieser pauschalen Vorurteile hat später Thilo Sarrazin aufgegriffen und aufpoliert: das Märchen vom primitiven, dummen Türken.

Diese Klischees sind so falsch wie verbreitet; sie sind entwürdigend und Gift für die Integration.

Selcuk Cara ist seit seiner Kindheit immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt. Als ihm sein Musiklehrer wegen seiner Herkunft abspricht, die Musik Mozarts zu verstehen, beschließt er, Opernsänger zu werden. Aus einer Trotzreaktion wird eine beachtliche Karriere, angetrieben von großem Talent und brennendem Ehrgeiz, befeuert von dem Wunsch nach Anerkennung. Es ist auch eine Suche nach Sicherheit.

Selbst in der klassischen Musik, einer Welt, die internationaler nicht sein könnte, erfährt Cara Ressentiments. Vor einem Hauskonzert stellte ihn seine Klavierlehrerin den Gästen als Türken vor, der "aber trotzdem intelligent" sei. Dann spielte der Gedemütigte die Aria der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach.

Eine Vita, die Klischees sprengt

Ist die deutsche Gesellschaft selbst in geistreichen Kreisen durchwirkt von Ausländerhass oder zumindest von rassistischem Denken? Solche Episoden legen es nahe. Und sie machen verständlicher, warum xenophobe Bewegungen wie die AfD in allen Gesellschaftsschichten punkten können.

So bekommen Selcuk Caras Beobachtungen angesichts der wachsenden Fremdenfeindlichkeit Aktualität. Eigentlich sollte er sich nun sicher fühlen. Eigentlich. Mit seiner Vita sprengt er Klischees.

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