Operation "Schutzschild Euphrat":Was hinter der türkischen Panzeroffensive in Dscharablus steckt

Operation "Schutzschild Euphrat": "Jetzt muss ein Schlusspunkt gesetzt werden": ein türkischer Panzer auf dem Weg nach Nordsyrien.

"Jetzt muss ein Schlusspunkt gesetzt werden": ein türkischer Panzer auf dem Weg nach Nordsyrien.

(Foto: Bülent Kilic/AFP)

Lange hatte Ankara den IS in Syrien gewähren lassen - nun ist es den Türken plötzlich sehr wichtig, die bisher von der Terrormiliz gehaltene Kleinstadt zu befreien.

Von Luisa Seeling

Erst war es der schreckliche Anschlag in Gaziantep. Ihn hatte die türkische Regierung zunächst angeführt, um zu begründen, warum sie seit Montagabend Stellungen des sogenannten Islamischen Staats (IS), auch Daesh genannt, jenseits der Grenze auf syrischem Gebiet beschießt.

Die Grenze der Türkei müsse "vollständig von Daesh gesäubert werden", hatte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu verkündet. Mehr als 50 Menschen, unter ihnen zwei Dutzend Kinder, hatte ein Selbstmordattentäter bei einer kurdischen Hochzeitsfeier mit sich in den Tod gerissen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan machte den IS als wahrscheinlichen Schuldigen aus, die Terrormiliz habe ein Kind im Alter von 12 bis 14 Jahren für die Tat missbraucht.

Dann aber ruderte Regierungschef Binali Yıldırım zurück. Man habe "keinerlei Erkenntnisse" über den oder die Täter, die Behörden wüssten auch nicht, welcher Gruppe sie angehörten, sagte er. Doch an Ankaras Syrien-Plänen änderte das nichts.

Erdoğan will den Vormarsch der syrischen Kurden stoppen

Am Mittwochmorgen startete das türkische Militär eine Bodenoffensive gegen den IS in Nordsyrien. Und es zeigt sich, dass es Ankara nicht nur um die Bekämpfung der Dschihadisten geht. Erdoğan will auch, vielleicht sogar vor allem, den Vormarsch der syrischen Kurden stoppen.

Vermutlich ist es Zufall, dass genau an diesem Tag der amerikanische Vizepräsident Joe Biden die Türkei besucht - der Termin stand schon länger fest, auch wenn ursprünglich nicht Biden, sondern Außenminister John Kerry kommen sollte. Brisant ist der Zeitpunkt dennoch. Denn über den Umgang mit den syrischen Kurden sind Washington und Ankara zutiefst zerstritten.

Die Amerikaner unterstützen die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD), beziehungsweise deren Volksverteidigungseinheiten (YPG), im Kampf gegen den IS. Die Türkei hält die PYD für eine Schwesterorganisation der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in der Türkei seit drei Jahrzehnten den Staat bekämpft und für zahlreiche Anschläge verantwortlich ist. Kurz: Für Ankara sind beide Gruppen unterschiedlos Terrororganisationen, in den USA gilt nur die PKK als Terrortruppe, über deren Verbindungen zur YPG sieht man aus taktischen Erwägungen lieber hinweg.

Ankara will ein zusammenhängendes Kurden-Gebiet in Syrien verhindern

Schon am Montagabend hatte das türkische Militär Stellungen des IS in dem syrischen Grenzort Dscharablus unter Artilleriebeschuss genommen. Am Mittwoch griff die Armee erneut Ziele auf der syrischen Seite mit Artilleriefeuer an, türkische F-16-Jets und Kampfflugzeuge der internationalen Anti-IS-Koalition flogen Luftangriffe.

Fernsehbilder zeigten, wie schwarzer Rauch über der 25 000-Einwohner-Stadt aufstieg. Dutzende Panzer rückten auf syrisches Gebiet vor, begleitet von Militärfahrzeugen syrischer Rebellen. Am frühen Abend meldeten türkische Medien, die Rebellen hätten das Zentrum von Dscharablus erreicht.

Erdoğan sprach am Mittwoch davon, dass der Einsatz "gegen Bedrohungen gerichtet" sei, die von Terrororganisationen ausgingen, in der türkischen Lesart also sowohl vom IS wie von der YPG. "Hinter diese Angriffe muss jetzt ein Schlusspunkt gesetzt werden", sagte er, man müsse "das lösen".

Die Kurden hatten zuletzt wichtige militärische Erfolge erzielt

Operation "Schutzschild Euphrat": "Jetzt muss ein Schlusspunkt gesetzt werden": ein türkischer Panzer auf dem Weg nach Nordsyrien.

"Jetzt muss ein Schlusspunkt gesetzt werden": ein türkischer Panzer auf dem Weg nach Nordsyrien.

(Foto: Bülent Kilic/AFP)

Die Bodenoffensive hat offenbar zum Ziel, den kurdischen Einheiten zuvorzukommen, die in den vergangenen Tagen immer weiter auf Dscharablus vorgerückt waren. Die Kurden hatten zuletzt in Syrien militärische Erfolge erzielt, vor einer Woche befreite ein kurdisch angeführtes Milizenbündnis die nordsyrische Stadt Manbidsch vom IS, was Ankara in Unruhe versetzte. Dort will man unbedingt verhindern, dass die Kurden in Syrien einen zusammenhängenden Streifen entlang der türkischen Grenze erobern.

In Ankara ist man überzeugt, dass ein Kurdenstaat die separatistischen Bestrebungen im eigenen Land befeuern würde. Den Kurden gehe es gar nicht darum, den IS zu besiegen, sagte Außenminister Çavuşoglu, sie hätten eine "geheime Agenda". Zuvor hatte der Co-Vorsitzende der PYD, Salih Muslim, getwittert "Die Türkei ist im syrischen Sumpf. Wird besiegt werden wie Daesh." Çavuşoglu konterte: "Unsere Absicht ist, den Sumpf trockenzulegen."

Die USA müssen zwei streitenden Bündnispartnern gerecht werden

Die USA bringt der türkische Vorstoß in eine unbequeme Lage. Die US-Streitkräfte unterstützten die Offensive in Nordsyrien mit ihrer Luftwaffe und Militärberatern, sagte ein US-Regierungsvertreter an Bord der Maschine, die Joe Biden in die türkische Hauptstadt brachte.

Gespräche über abgestimmte Einsätze im syrischen Grenzgebiet zur Türkei gebe es seit mehr als einem Jahr, auch würden Geheimdienstkenntnisse weitergegeben. Doch zugleich will Washington unbedingt vermeiden, dass es in Nordsyrien zu Gefechten zwischen ihrem Bündnispartner, den Einheiten der YPG, und der türkischen Armee kommt.

In dieser zugespitzten Situation zeigte Biden den Kurden ihre Grenzen - im Wortsinn: Sie sollten sich, wie ursprünglich vereinbart, auf das östliche Ufer des Euphrat zurückziehen, sagte er in Ankara. Sonst werde ihnen weitere militärische Hilfe verweigert.

Auch das türkische Gülen-Auslieferungsgesuch belastet die Beziehungen

Nicht weniger Kopfzerbrechen dürfte den Amerikanern das zweite große Thema bereiten, mit dem die Türken Biden konfrontierten: das Auslieferungsgesuch für den islamischen Prediger Fethullah Gülen. Ankara macht den im US-Exil lebenden Anführer der Hizmet-Bewegung für den Putsch-Versuch Mitte Juli verantwortlich. Am Dienstag hatte die Türkei seine Auslieferung beantragt. "85 Pakete mit Akten" habe man nach Washington geschickt; diese beziehen sich allerdings formal nicht auf Gülens Verwicklung in den Umsturzversuch, sondern auf angebliche frühere verschwörerische Aktivitäten.

Ankara drängt zur Eile; Washington hat stets darauf beharrt, dass eine Auslieferung nur mit eindeutigen Beweisen möglich sei. Man werde mit den türkischen Behörden bei der Bewertung des Beweismaterials zusammenarbeiten, versprach Biden. "Wir haben kein Interesse daran, irgendwen zu beschützen, der einem Verbündeten Schaden zugefügt hat" - der übliche Rechtsweg müsse aber eingehalten werden.

Die USA und die Türkei seien doch strategische Partner, hatte Erdoğan vor Bidens Besuch gesagt, Gülen nicht auszuliefern wäre nicht gut für die Vereinigten Staaten. Ein Schelm, wer das als Drohung versteht.

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