Operation Regenbogen:"Menschenleben rücksichtslos missachtet"

Nach Angaben des Militärs sollten es nur Warnschüsse sein - doch israelische Panzer schossen mitten in eine Menschenmenge. Dabei starben mindestens zehn Kinder und Jugendliche. UN-Generalsekretär Kofi Annan und auch der irische EU-Ratspräsident Cowen verurteilten den Angriff aufs Äußerste. In Jerusalem wird nun erwogen, die Militäraktion abzubrechen.

UN-Generalsekretär Kofi Annan verlangte von Israel, die "unangemessene und wahllose Anwendung von Gewalt" einzustellen. Als Besatzungsmacht sei Israel auch verpflichtet, die palästinensische Zivilbevölkerung zu schützen.

Operation Regenbogen: Palästinenser flüchten, nachdem Hubschrauber Raketen in die Menge gefeuert haben.

Palästinenser flüchten, nachdem Hubschrauber Raketen in die Menge gefeuert haben.

(Foto: Foto: dpa)

Auch die irische EU-Ratspräsidentschaft verurteilte die Angriffe ungewöhnlich scharf. Die israelischen Truppen hätten Menschenleben rücksichtlos missachtet, hieß es in einer von Außenminister Brian Cowen im Namen der EU veröffentlichten Erklärung.

"Wir bedauern jeden Verlust von menschlichem Leben", sagte in Jerusalem Raanan Gissin, der Berater von Ministerpräsident Ariel Scharon. "Dies erfordert ohne Zweifel eine gründliche Untersuchung."

Nach Angaben eines hohen Beamten wird auch erwogen, die zum Wochenbeginn gestartete Offensive abzubrechen.

Die israelische Brigadegeneralin Ruth Jaron sagte im Fernsehen, unter den Demonstranten seien auch bewaffnete Männer gewesen. Die Soldaten hätten zunächst Warnschüsse abgegeben, um die Menge fern zu halten. Dann sei ein verlassenes Gebäude in der Nähe mit vier Panzergranaten beschossen worden.

Außerdem habe ein Hubschrauber eine Rakete abgeschossen, die aber in offenem Gelände und nicht in der Menschenmenge explodiert sei, sagte die Generalin.

Offensive ist "inakzeptabel und falsch"

Bei den Todesopfern handle es sich ausschließlich um Kinder und Jugendliche, teilten palästinensische Ärzte mit. Unter den rund 50 Verletzten seien 13 in akuter Lebensgefahr und 23 weitere schwer verletzt.

Die Menschenmenge marschierte auf einer Hauptstraße von Rafah in Richtung des Flüchtlingslagers. Als die Demonstranten noch etwa einen Kilometer vom Eingang des Lagers entfernt waren, wurden nach Berichten palästinensischer Augenzeugen die Raketen und Panzergranaten abgefeuert. Außerdem war Maschinengewehrfeuer zu hören.

Aufnahmen der Fernsehnachrichtenagentur APTN zeigten eine gewaltige Explosion in der Mitte einer Demonstration. Danach bargen Sanitäter Verwundete. Zur gleichen Zeit befanden sich Hubschrauber und Panzer in der Umgebung. Die Demonstration richtete sich gegen die anhaltende Militäroffensive im Flüchtlingslager von Rafah, bei der am Dienstag und Mittwoch 24 Menschen getötet wurden.

Verurteilt wurde das Vorgehen Israels auch vom britischen Premierminister Tony Blair. Die jüngste Offensive im Gazastreifen sei "inakzeptabel und falsch", sagte der Regierungschef in London.

Die USA riefen beide Konfliktparteien zu größter Zurückhaltung auf. Das Weiße Haus sei sehr besorgt über die Ereignisse vom Mittwoch, sagte Regierungssprecher Scott McClellan in Washington. Die Situation werde aufmerksam beobachtet.

Zahl der Toten kann noch steigen

Im Krankenhaus von Rafah sprachen Ärzte von einer verzweifelten Lage. Sie baten um Blutspenden und forderten Hilfe bei der Behandlung der Verletzten. "Wir werden mit der Situation nicht fertig", sagte Sprecher Moawija Hassanain.

Die Zahl der Toten könne noch steigen, weil zahlreiche Leichenteile noch nicht identifiziert seien. Treppen und Flure des Krankenhauses waren blutüberströmt. Ein Sprecher der Organisation Ärzte für Menschenrechte warf den israelischen Streitkräften vor, die Zufahrt von Krankenwagen aus Chan Junis nach Rafah zu blockieren.

Die Gefechte konzentrierten sich weiter auf das Viertel Tel Sultan, in dem rund 25.000 Menschen leben. Die Soldaten umstellten das Areal und riefen alle Männer zum Aufgeben auf.

Rund 2000 Männer kamen nach Militär- und Augenzeugenberichten mit weißen Fahnen aus ihren Häusern. Israelische Soldaten hätten zwei sich ergebende Jugendliche beschossen und einen von ihnen getötet, berichteten Palästinenser.

Eine Armeesprecherin sagte hingegen, in den Häusern verschanzte palästinensische Extremisten hätten auf die sich versammelnden Männer geschossen und zwei verletzt.

Auch im Westjordanland rückten am Mittwoch israelische Truppen vor. In einem Flüchtlingslager nahe der Stadt Dschenin wurde nach Berichten des israelischen Rundfunks ein örtlicher Anführer der Al-Aksa-Brigaden getötet. In Nablus erschossen israelische Soldaten ein Al-Aksa-Mitglied bei einem Feuergefecht.

In Jerusalem wird erwartet, dass Ministerpräsident Ariel Scharon schon am Sonntag seinem Kabinett einen leicht abgeänderten Plan für einen Rückzug aus dem Gazastreifen vorlegen wird.

Internationale Truppe zur Sicherung des Gazastreifens

Nach Informationen aus Regierungskreisen will Scharon den Abzug in drei Schritten gestalten, wobei das Kabinett in jeder Phase neu mitentscheiden könnte. Außerdem will sich Israel demnach um eine internationale Truppe zur Sicherung der Grenze des Gazastreifens zu Ägypten bemühen.

Nach Gesprächen mit israelischen Regierungsvertretern haben die USA ihre Kritik an der Militäroffensive im Gazastreifen abgemildert.

"Menschenleben rücksichtslos missachtet"

Israel habe versichert, dass es sich nach Kräften bemühen werde, die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung möglichst gering zu halten, hatte US-Regierungssprecher Scott McClellan erklärt.

Rafah

Etliche Kinder wurden verletzt.

(Foto: Foto: AP)

Der israelische Vizeministerpräsident Ehud Olmert war am Dienstag mit US-Außenminister Colin Powell und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice zusammengetroffen.

Die israelischen Vertreter, darunter auch der Botschafter Daniel Ayalon, hätten in den Gesprächen ihre Erklärung bekräftigt, dass palästinensische Häuser im Gazastreifen an der Grenze zu Ägypten für Angriffe gegen Israelis als Deckung genutzt würden, sagte McClellan.

Sowohl Olmert als auch Ayalon hatten am Dienstag gesagt, dass auf der Suche nach Tunnels zum Waffenschmuggel Häuser beschädigt werden könnten, dies aber nicht das Ziel der israelischen Truppen sei.

"Wir verstehen ihre Erklärung, aber wir finden die Gewalt weiter beunruhigend", so McClellan. Powell hatte am Wochenende den Abriss Dutzender Häuser im Flüchtlingslager Rafah kritisiert. Auch UN-Generalsekretär Kofi Annan und EU-Chefdiplomat verurteilten das Vorgehen der israelischen Streitkräfte.

In der vergangenen Woche rissen israelische Truppen rund 100 Häuser des Flüchtlingslagers unmittelbar an der Grenze zu Ägypten nieder. Dort soll eine Schneise entstehen, in der Israel intensiver als bisher gegen den Waffenschmuggel in den Gazastreifen vorgehen will.

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