Online-Foren:Im Netz mordet kein Terrorist allein

Online-Foren: Steht für ein Muster rassistischer Angriffe: der Terroranschlag auf Muslime in Christchurch, im Bild die Masjid-Al-Noor-Moschee.

Steht für ein Muster rassistischer Angriffe: der Terroranschlag auf Muslime in Christchurch, im Bild die Masjid-Al-Noor-Moschee.

(Foto: Vincent Yu/AP)

Der Attentäter verwendet in seinem Video die Sprache einer rechten Subkultur im Internet. Meist junge Männer bestärken sich dort in ihren extremen Ansichten.

Von Max Hoppenstedt, Simon Hurtz

Der Attentäter, der in Halle zwei Menschen erschoss, mordete allein. Die Ermittlungen laufen, doch vieles deutet darauf hin, dass der Rechtsextremist seine Tat auch allein plante - aber sicher nicht ohne Einfluss von außen: Die antisemitischen, rassistischen und frauenfeindlichen Aussagen des Mörders spiegeln sprachlich und inhaltlich die Ideologie vieler junger Männer wider, die sich in Online-Foren vernetzen, dort in ihrem Hass bestärken und zur Gewalt anstacheln.

Der Terroranschlag von Halle weist Parallelen zu den Angriffen auf Moscheen in Christchurch, auf einen Supermarkt in El Paso und ähnlichen Taten auf. Männliche Extremisten bringen Menschen um, streamen die Morde live im Netz oder schreiben wirre Pamphlete, die sie selbst als "Manifeste" bezeichnen. Sie setzen auf moderne Technik und nutzen die Mechanismen einer vernetzten Öffentlichkeit aus, um maximale Aufmerksamkeit zu erhalten.

Der Täter von Halle filmte seine Morde und streamte das Video live auf der Plattform Twitch. Der Dienst gehört Amazon, die meisten Nutzer veröffentlichen dort Livestreams von Videospielen. Nach Angaben von Twitch schauten etwa fünf Personen der Live-Übertragung zu. Danach blieb die Aufnahme eine halbe Stunde online, bevor Twitch sie löschte. In dieser Zeit sollen etwa 2200 Menschen das Video abgerufen haben. Auf Twitch selbst blieb das Publikum also überschaubar - allerdings luden einige Zuschauer das Video herunter und verbreiteten es auf anderen Kanälen. In Foren wie 4chan und Kiwi Farms teilten Nutzer Links und Screenshots. So entstand ein Schneeballeffekt, der dem Video zusätzliche Aufmerksamkeit bescherte. Später berichteten große Medien, erzählten die Inhalte nach oder zeigten sogar den Täter in Nahaufnahme. So erreichte seine Botschaft eine breite Öffentlichkeit.

Oft lässt sich nicht unterscheiden, wo der "Spaß" aufhört und der Ernst beginnt

In seinem Video nutzt der Angreifer die Sprache einer Online-Subkultur, die sich in anonymen Foren vernetzt. Die meisten Nutzer sind männlich, jung und weiß. Sie propagieren radikale Redefreiheit, die angeblich an die libertäre Netzkultur der Frühzeit des World Wide Webs anknüpft. Jeder soll alles sagen dürfen, ohne auf die Befindlichkeiten von Minderheiten Rücksicht nehmen zu müssen. Dieses Selbstverständnis dient oft als Vorwand für rechtsradikale, rassistische und antisemitische Hetze. Auch Frauenfeindlichkeit und Schwulenhass sind weit verbreitet. Die Nutzer wandeln ständig auf der Grenze zwischen anarchischem Humor und offener Menschenverachtung. Aus sarkastischen Insider-Witzen wird purer Hass. Das erschwert die Arbeit für Ermittler: Oft lässt sich nicht unterscheiden, wo der "Spaß" aufhört und der Ernst beginnt.

Das Netz ist nicht schuld, dass Extremisten morden. Es spiegelt vorhandenen Hass und Vorurteile. Aber abgeschlossene Subkulturen erleichtern die Vernetzung und beschleunigen die Radikalisierung. Das zeigte sich bei früheren Terroranschlägen, und das zeigt sich im aktuellen Fall. Nur wenige Stunden nach den Morden identifizierten Forennutzer den Angreifer als einen der Ihren und diskutierten die Details des Anschlags. Manche bedauerten, dass der Täter nicht effizienter Juden getötet habe.

Für Außenstehende ist es schwer zu verstehen, was die Nutzer dieser Foren antreibt. Vielen geht es um Bestätigung und Aufmerksamkeit. So sagt ein deutscher 4chan-User, der dort mehrfach Straftaten begangen hat: "Ich wollte, dass auch mal jemand zu mir sagt: Gut gemacht." Die Nutzer bilden eine verschworene Gemeinschaft und grenzen sich vom Rest der Gesellschaft ab. Normen, Werte und Gesetze spielen keine Rolle mehr. Was zählt, sind der sogenannte Lulz, der Spaß am Trollen, und der Beifall Gleichgesinnter.

Der Angriff in Halle war auch eine Bewährungsprobe für die Maßnahmen, die Internetkonzerne nach Christchurch ergriffen hatten. Im März hatte in der neuseeländischen Stadt ein Rechtsextremist zwei Moscheen angegriffen und 51 Menschen ermordet. Er streamte die Tat live, das Video verbreitete sich auch auf großen Plattformen wie Facebook und Youtube. Die Betreiber kamen trotz einigem Aufwand mit dem Löschen nicht hinterher. In der Folge bündelten Unternehmen wie Microsoft, Twitter, Facebook und Google ihre Kräfte, um solche Videos schneller zu erkennen und zu entfernen. Erstmals musste sich diese Allianz nun im Ernstfall bewähren. Die Aufnahme aus Halle wurde auch auf anderen Netzwerken wie Instagram hochgeladen, doch im Vergleich zum Livestream aus Christchurch erhielt die Aufnahme der Morde von Halle deutlich weniger Aufmerksamkeit und wurde zuverlässiger gelöscht.

Terroristen nutzen bewusst und gezielt Medien, um ihre Taten bekannt zu machen

Es ist nicht möglich, alle Uploads sofort zu entfernen. Nutzer können Frühwarnsysteme überlisten, indem sie Aufnahmen zerstückeln, spiegeln oder anderweitig bearbeiten. Aber offensichtlich ist es möglich, das Publikum entscheidend zu verkleinern.

Terroristen wollen Angst und Schrecken verbreiten. Dafür nutzen sie bewusst und gezielt Medien als Verbreiter für ihre Taten. Jede Titelseite und jede Sondersendung im Fernsehen trägt dazu bei. Nicht zu berichten, ist gerade bei politisch motivierten Terroranschlägen aber keine Option, dafür sind solche Taten zu relevant und die Frage nach Gegenmitteln ist zu drängend. Im Zeitalter sozialer Plattformen sind klassische Massenmedien zudem nur noch einer von vielen Wegen, auf denen sich Informationen, Bilder und Videos verbreiten.

Die zentralen Fragen drehen sich nicht um das Ob, sondern um das Wie: Bis heute werden die Namen der Amokläufer und Terroristen von München, Christchurch oder El Paso in Foren ehrfürchtig zitiert. Sie gelten dort als Helden, Nutzer bezeichnen sie als Vorbilder. Als einige Medien am Mittwoch den vollen Namen des Angreifers nannten, wurde dieser binnen Minuten in eine Reihe mit früheren Attentätern gestellt. Trolle und Rassisten auf den Foren freuten sich über die Aufmerksamkeit.

In eigener Sache

Der Täter von Halle (Saale) hat im Internet ein Video seines Anschlags und außerdem ein sogenanntes Manifest veröffentlicht. Der SZ liegen diese vor, wir veröffentlichen sie aber nicht. Terroristen versuchen, im Internet ihr Gedankengut zu verbreiten. Die SZ macht sich nicht zum Werkzeug dieser Strategie. Aus diesem Grund zeigen wir ebenfalls keine Bilder expliziter Gewalt und achten darauf, in der Berichterstattung über Details zur Tat die Würde der Opfer zu wahren.

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