Olympische Winterspiele in Sotschi:Gegen alle Regeln

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Olympisches Dorf in Rosa Khutor: Viel Baustelle, wenig Unterkunft (Foto: AFP)

Der Olympia-Ort Sotschi hat jede Menge Probleme. Dort wo in weniger als sechs Monaten die weltbesten Wintersportler aufeinander treffen, funktioniert noch nicht einmal die Müllabfuhr. Die Korruption wuchert, die Umweltzerstörung ist enorm - doch für das IOC ist "alles praktisch fertig".

Von Johannes Aumüller

Als im Juli 2007 das Internationale Olympische Komitee (IOC) in Guatemala-City zusammenkam, um über den Austragungsort der Winterspiele 2014 zu entscheiden, ließen Russlands Vertreter nichts unversucht. Sie errichteten einen Eislaufpalast, in dem Olympiasieger Jewgenij Pluschenko ein bisschen was von seiner Kunst vorführte. Sie lockten in der Nähe des Tagungshotels mit einem prallen Partyprogramm.

Und sie flogen sogar ihren Staatspräsidenten Wladimir Putin höchstselbst ein, der am Vorabend der Abstimmung entgegen den Ethik-Regeln noch mit diversen Mitgliedern des IOC gespeist haben soll. Am Ende hatten sich die Mühen gelohnt: Das Komitee kürte Sotschi gegen die Konkurrenz aus Salzburg und Pyeongchang zum Austragungsort - trotz diverser Bedenken von Experten und sogar in den Prüfberichten.

Seit jenem Tag gibt es massive Kritik an den Organisatoren. Denn als der Schwarzmeerort Sotschi und das zirka 40 Kilometer entfernt liegende Bergzentrum Krasnaja Poljana die Spiele erhielten, war dort so gut wie nichts Olympiataugliches vorhanden. Alles musste neu gebaut werden. Das hatte gigantische Kosten zur Folge.

Ursprünglich war einmal ein kleiner zweistelliger Milliardenbetrag veranschlagt; inzwischen haben die Organisatoren selbst eingestanden, dass die Summe bei zirka 40 Milliarden Euro liegt, viele Experten gehen von noch größeren Zahlen aus. Vieles davon belastet den Staatssäckel, denn das Engagement der russischen Oligarchen ist geringer, als bisweilen suggeriert - und bezieht sich zudem oft auf risikoarme Investitionen. Die Korruption wucherte so massiv, dass das sogar der russische Rechnungshof kritisierte.

Umweltschutzorganisationen wie der WWF beklagen zudem die heftige Verschandelung der Natur. Viele Hektar Bäume sind wegen der Bauarbeiten gefällt worden, das Ökosystem vieler Flüsse ist nachhaltig gestört. Die Gefahr von Erdrutschen ist deutlich gestiegen. Zudem müssen die Bewohner mit vielen Einschränkungen leben. Manche mussten ihre Häuser oder Wohnungen verlassen und fühlen sich nicht oder nur unzureichend entschädigt.

Andere leiden gerade unter den Folgen des Bauwahns. Als ein paar Aktivisten einmal einen Hungerstreik organisierten, wurden sie von Sotschis Bürgermeister Anatolij Pachomow als "raffgierige Gauner" beschimpft. Und während Russlands Staat Dutzende Milliarden Euro für die teuren Bauten und Straßen ausgibt, verfügt Sotschi nicht einmal über eine funktionierende Müllabfuhr.

Vertreter vom Volksstamm der Tscherkessen kritisieren, dass die Skiwettbewerbe in Krasnaja Poljana stattfinden - in der Gegend wurden Hunderttausende ihrer Vorfahren am Ende des Kaukasus-Krieges im 19. Jahrhundert in blutigen Auseinandersetzungen getötet oder vertrieben. Zuletzt erzürnten sich viele Menschenrechtsgruppierungen, aber auch viele Sportler über das umstrittene russische Gesetz gegen "homosexuelle Propaganda", das auch während der Spiele gültig ist.

Doch als kürzlich Vertreter des Internationalen Olympische Komitees in Sotschi waren, fiel zu alldem erwartungsgemäß kein Wort. Ihre Botschaft lautete lediglich: "Alles ist praktisch fertig", die Spiele können beginnen.

© SZ vom 09.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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