Ein Bild und seine Geschichte:Owens Triumph - Hitlers doppelte Niederlage

Jesse Owens, Lutz Long und NaotoTajiama bei der Siegerehrung, 1936

Berlin, am 4. August 1936: Goldmedaillen-Gewinner Jesse Owens (Mitte), der Deutsche Luz Long (rechts) und der Japaner Naoto Tajima bei der Siegerehrung im Weitsprung.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

1936 springt der Afroamerikaner Jesse Owens in Berlin zu olympischem Gold. Dann düpiert er mit dem deutschen Athleten Luz Long das NS-Regime.

Von Oliver Das Gupta

Ein Bild und seine Geschichte

SZ.de zeigt in loser Folge jeweils ein besonderes Foto oder eine besondere Abbildung. Hinter manchen Aufnahmen und Bildern steckt eine konkrete Geschichte, andere stehen exemplarisch für historische Begebenheiten und Zeitumstände. Übersicht der bisher erschienenen Texte

Alle Augen richten sich auf Jesse Owens. Das Berliner Olympiastadion ist an diesem 4. August 1936 voll besetzt. Am Vortag war der schnellste Mann der Welt über 100 Meter zur Goldmedaille gerannt, für nicht wenige der 100 000 Zuschauer war der Amerikaner eher über die Aschenbahn geflogen.

Owens gewinnt sofort Sympathien im Publikum, sein Name schallt immer wieder durchs ovale Rund - zum Verdruss des anwesenden Diktators Adolf Hitler und seiner Entourage. Denn Owens ist nicht nur US-Amerikaner. Seine Hautfarbe ist schwarz, sein Großvater war noch Sklave.

Für NS-Fanatiker ist Owens ein halber Affe

Nach der kruden Rassenideologie der Nazis ist Owens ein halber Affe. In Deutschland gelten damals seit einem halben Jahr die Nürnberger Rassegesetze, die Juden zu minderwertigen Menschen erklärten, ebenso Dunkelhäutige wie Owens.

Doch bei Olympia in Berlin, dem von den Nazis mit großem Pomp inszenierten und propagandistisch perfekt ausgestalteten Sportfest, gelten andere Regeln. Dort ist jeder Athlet gleichberechtigt. Und der Afroamerikaner Owens avanciert mit seinem Gold-Sprint zum großen Star.

Aber nun, beim Weitsprung, droht er früh zu scheitern. Owens springt für seine Verhältnisse relativ kurz und übertritt in der Qualifikationsrunde. Er hat nur noch einen Versuch. Jemand fasst ihm von hinten an die Schulter. Es ist Ludwig Long, den alle nur Luz Long nennen, ein Athlet aus Sachsen, blauäugig und blond, Nachfahre des Chemikers Justus von Liebig. Für die Nazis ist Long ein Vorzeige-Arier. Für Owens ist der Deutsche der schärfste Konkurrent im Weitsprung.

Was will er, ausgerechnet vor dem heiklen Sprungversuch des Amerikaners? Long stellt sich in englischer Sprache vor, sagt: "Ich denke, ich weiß was falsch ist an deinem Anlauf." Dann rät Long seinem Rivalen, mehrere Zentimeter vor dem Absprungbalken abzuheben.

Owens folgt dem Hinweis, markiert neben der Anlaufbahn seine neue Absprungstelle mit einem Handtuch. Und fliegt mühelos weiter als alle anderen. Erleichtert geht der Amerikaner zu Long, reicht ihm die Hand und sagt das einzige deutsche Wort, dass er kennt: "Danke."

Wenige Stunden später findet der finale Durchgang statt. Owens hat nun keine Probleme mehr, er triumphiert. Mehr als acht Meter springt er, deutlich weiter als der zweitplatzierte Long. Der Deutsche holt ihn von der Sandgrube ab, gratuliert ihm, reißt Owens Arm in Boxermanier in die Höhe, er zeigt allen: Hier steht der unbestrittene Champion.

Ein öffentlich zelebrierter Affront

Bei der Siegerehrung hebt Long die Hand zum Hitler-Gruß, so wie das alle deutschen Athleten (und auch viele ausländische) tun. Der Jura-Student tritt später in die NSDAP ein, auch in die SA. Tut er das aus Überzeugung? Aus Opportunismus? Oder drängt man Long? Oder ist es eine Mischung aus allem? Fest steht: Karriere in NS-Organisationen oder im Militär macht er nicht.

Was in Berlin vor 80 Jahren passiert, zeugt auf jeden Fall von "großem Mut" des Sachsen, wie Owens später sagen wird. Denn nach der Siegerehrung gehen Long und Owens Arm in Arm an Hitlers Loge vorbei. Beide posieren nebeneinander liegend vor Fotografen und lachen dabei. All das ist ein öffentlich zelebrierter Affront. Neben den Olympiatriumphen von Owens (insgesamt gewinnt er viermal Gold) sind die Freundschaftsgesten die zweite Niederlage für das Regime.

So etwas wollen Hitler und seine Schergen nicht wieder erleben. "Führer"-Stellvertreter Rudolf Heß warnt Long später, "nie wieder einen Neger zu umarmen". In der gleichgeschalteten Presse wird von "animalischen" Kräften Owens gesprochen, ein Blatt soll sogar ein Foto des Athleten neben dem Bild eines Affen gedruckt haben. Über die Freundschaftsgesten der beiden Wettkämpfer berichten die deutschen Zeitungen nicht.

Jesse Owens beim Weitsprung

Jesse Owens beim Weitsprung Der amerikanische Leichtathlet Jesse Owens während der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin beim Weitsprung.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Long und Owens sehen sich nach dem Ende der Spiele nicht wieder, aber sie schreiben einander Briefe. Der Zweite Weltkrieg bricht aus, auch Long wird irgendwann eingezogen.

1943 wird er verwundet, dann stirbt er in einem britischen Lazarett auf Sizilien. In seinem letzten Brief an Owens ahnt er seinen Tod und bittet Owens nach dem Krieg seinen Sohn zu besuchen und ihm zu erzählen, wie es "zwischen den Menschen dieser Erde" sein kann.

Owens, der in den USA wegen seiner Hautfarbe erst ab den fünfziger Jahren die volle Anerkennung erfährt, trifft später Longs Sohn Kai in Hamburg. Bis zu seinem Tod im Jahre 1980 würdigt er Long immer wieder. Dessen Freundschaft, sagt er einmal, würde ihm mehr wert sein als alle seine Pokale und Medaillen.

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