Süddeutsche Zeitung

Olympia-Attentat:Hinterbliebene wollen absagen

Die etwa zwei Dutzend Angehörigen der Opfer von 1972 kündigen an, der Gedenkfeier in München fernzubleiben - aus Ärger über den deutschen Umgang mit dem Attentat.

Von Daniel Brössler, Roman Deininger, Paul-Anton Krüger, Georg Mascolo und Uwe Ritzer, Berlin/München

Der Streit um deutsche Entschädigungszahlungen für die Opfer des Attentats auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München eskaliert. Nach einem Bericht der New York Times haben sich die zwei Dutzend Hinterbliebenen entschlossen, nicht zur Gedenkfeier am 5. September nach München und Fürstenfeldbruck zu kommen. Unklar ist, ob Israels Staatspräsident Isaac Herzog unter diesen Umständen anreisen wird. "Wir erwarten, dass Präsident Herzog umgehend ebenfalls bekannt gibt, dass er nicht kommt", sagte Ankie Spitzer, die Sprecherin der Opferfamilien, der amerikanischen Zeitung. Mit ihrer Entscheidung wollten die Angehörigen ihre Verärgerung darüber ausdrücken, dass die Bundesrepublik, der Freistaat Bayern und die Landeshauptstadt München ihren Forderungen nach finanzieller Entschädigung bislang nicht entsprechen.

Nach SZ-Informationen geht die Bundesregierung davon aus, dass nicht nur fast alle Familienangehörigen dem geplanten Festakt zum 50. Jahrestag an historischer Stätte fernbleiben werden, sondern befürchtet inzwischen auch eine Absage des israelischen Staatspräsidenten Herzog. "Wenn die Familien der Gedenkfeier fernbleiben, wird es auch für den Präsidenten sehr schwierig werden teilzunehmen", sagte ein mit den Vorgängen vertrauter hochrangiger Regierungsbeamter.

Derzeit laufen Gespräche zwischen deutschen und israelischen Regierungsvertretern, dem Vernehmen nach will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auch noch einmal direkt mit seinem israelischen Amtskollegen sprechen. Aus Kreisen der bayerischen Staatsregierung hieß es am Donnerstagabend, man glaube, dass die Absage der Angehörigen nicht endgültig sei, sondern eine heftige Druckerhöhung in den Entschädigungsverhandlungen. Ein Sprecher der Münchner Staatskanzlei sagte: "Wir bedauern die Absage sehr. Die Verhandlungen werden weiter fortgeführt mit dem Ziel, ein positives Ergebnis zu erreichen."

Eigentlich sollte der Festakt das unwürdige deutsche Verhalten beenden

Ankie Spitzer, die Witwe des Fechttrainers Andrei Spitzer, sagte jedoch am Donnerstag dem Spiegel, die Absage sei "endgültig". Zuletzt hatte Spitzer wiederholt von "Trinkgeld" gesprochen, mit dem die Angehörigen nach ihrem Empfinden von Deutschland abgespeist werden sollten. Die Hinterbliebenen kritisieren, dass es bislang weder eine Aufarbeitung des Geschehens am 5. und 6. September 1972 gegeben habe, wo neben elf Israelis auch ein deutscher Polizist ums Leben kam. Zu dem Gedenkakt am Fliegerort Fürstenfeldbruck, wo die Geiselnahme 1972 in einem Massaker an den israelischen Olympioniken endete, wurden bislang Bundespräsident Steinmeier und sein israelischer Kollege Herzog erwartet.

Eigentlich sollte der Festakt den jahrzehntelangen unwürdigen deutschen Umgang mit dem Olympia-Attentat beenden. Unter der neuen Bundesregierung wurde entschieden, eine Historiker-Kommission mit der Untersuchung der Ereignisse zu beauftragen. Es gab klare Zeichen, dass Steinmeier in einer Rede in München die deutsche Verantwortung für das damalige Desaster und den späteren Umgang damit betonen wolle. Zudem erklärten sich der Bund, der Freistaat Bayern und die Stadt München bereit, weitere 5,4 Millionen Euro an Entschädigung an die Familien der Opfer zu zahlen. 4,6 Millionen Euro waren bereits 1972 und 2002 als humanitäre Hilfsleistungen geflossen.

Im Kanzleramt ist man sich der Brisanz des Themas bewusst. Während seiner Sommer-Pressekonferenz hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch einmal betont, wie wichtig ihm die Beziehungen zu Israel sind. Nach Jerusalem hat die Bundesregierung jedenfalls signalisiert, dass in der Frage der Entschädigungen noch nicht das letzte Wort gesprochen sei. Dabei ist offenbar von deutlich höheren Summen die Rede als bisher bekannt. Dennoch liegen die Vorstellungen weit auseinander. In der Bundesregierung war stets betont worden, dass die Frage einer finanziellen Entschädigung aus ihrer Sicht nicht die entscheidende Rolle spielen dürfe. Keinesfalls könne die Summe viel höher ausfallen als etwa die Entschädigungen für deutsche Opfer terroristischer Anschläge.

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