Olympia-Attentat 1972:Opferfamilien lehnen Angebot ab

Olympia-Attentat 1972: Stilles Gedenken: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat an diesem Mittwoch den Erinnerungsort zum Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 besucht.

Stilles Gedenken: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat an diesem Mittwoch den Erinnerungsort zum Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 besucht.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Die Bundesregierung möchte die Hinterbliebenen derjenigen entschädigen, die beim Olympia-Attentat 1972 getötet wurden. Doch die Höhe der Zahlung ist umstritten.

Von Roman Deininger und Uwe Ritzer

Das Ringen um eine angemessene Entschädigung für die israelischen Opferfamilien des Olympia-Attentats von 1972 spitzt sich dramatisch zu. Am Mittwoch erklärte sich die Bundesregierung nach langem Zögern bereit, fünfzig Jahre nach dem Anschlag eine weitere Entschädigungszahlung zu leisten. Man habe entschieden, "die gravierenden Folgen für die Hinterbliebenen der Opfer in immaterieller und in materieller Hinsicht erneut zu artikulieren", sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der Süddeutschen Zeitung. Derzeit liefen "vertrauensvolle Gespräche mit den Vertretern der Opferfamilien". Ankie Spitzer, die Witwe des Fechttrainers Andrei Spitzer und Vertreterin der Angehörigen, lehnte das deutsche Angebot jedoch umgehend als "inakzeptabel und beleidigend" ab. Man lasse sich nicht "mit Trinkgeld wegschicken", sagte sie der SZ.

Nach Informationen aus Israel soll die Bundesregierung zehn Millionen Euro angeboten haben, die von Bund, Freistaat Bayern und Landeshauptstadt München gemeinsam erbracht werden sollen. Die Hinterbliebenen befürchten, dass die insgesamt etwa 4,5 Millionen Euro, die schon 1972 und 2002 an sie ausgezahlt wurden, auf diese Summe angerechnet werden könnten. Die damaligen Zahlungen waren von deutscher Seite nicht als Entschädigung, sondern als humanitäre Hilfsleistungen bezeichnet worden, um ein Schuldeingeständnis zu vermeiden. Wegen hoher Gerichts- und Anwaltskosten kam nur wenig Geld tatsächlich bei den Empfängern an: 2002 soll etwa jeder der 34 Angehörigen weniger als 30 000 Euro erhalten haben.

Ankie Spitzer kritisierte nun, dass das aktuelle Angebot sich an deutschen Standards für Entschädigungszahlungen orientiere. Die Hinterbliebenen bestünden auf die höheren internationalen Standards: "Wir wissen, dass der Anschlag von München kein lokales Ereignis war, sondern ein Terrorangriff von globaler Tragweite." Ähnlich äußerte sich im israelischen TV-Sender Kan auch Ilana Romano, die Witwe des Gewichthebers Yossef Romano: Das Angebot sei "demütigend", die Summer müsse "internationalen Standards entsprechen".

Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass nicht alle Opferfamilien diese harte Verhandlungslinie teilen. Einigen Angehörigen soll eine Entschuldigung für die Fehler der Sicherheitsbehörden wichtiger sein als Geld. Aus deutschen Regierungskreisen hieß es, man bleibe zuversichtlich, dass die Gespräche bis Ende dieser Woche erfolgreich abgeschlossen sein könnten. Mehrere mit der Sache vertraute Politiker wollten sich wegen der laufenden Verhandlungen nicht direkt äußern. Einer sagte, man wolle mit den Angehörigen reden, nicht über sie.

Ankie Spitzer hatte einen für diese Woche geplanten München-Besuch kurzfristig abgesagt, weil sie nicht nach Deutschland reisen will, solange die Entschädigungsfrage ungeklärt ist. Auch die Teilnahme der Opferfamilien am zentralen Gedenktakt in München und Fürstenfeldbruck am 5. September hat sie bereits mehrmals infrage gestellt. Am Mittwoch erklärte sie: "So wie die Situation jetzt aussieht, werden die Familien nicht kommen." Hinter den Kulissen sind Stadt, Land und Bund schon seit Monaten bemüht, einen solchen Eklat vor den Augen der Welt zu vermeiden.

Beim Überfall eines palästinensischen Terrorkommandos auf die israelische Olympiamannschaft wurden am 5. und 6. September 1972 elf israelische Sportler ermordet, außerdem ein deutscher Polizist. Die Sicherheitsbehörden hatten zuvor Warnhinweise auf einen Anschlag ignoriert; auch die Polizeiaktion gilt als schwer fehlerhaft. In den Jahrzehnten danach verweigerte die deutsche Seite den Hinterbliebenen eine Entschuldigung, aber auch volle Akteneinsicht. 1994 waren die Angehörigen mit einer Klage auf Schadenersatz von rund 20 Millionen Euro wegen Verjährung gescheitert.

Der Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte nun der SZ, die Bundesregierung habe das Olympia-Attentat und seine Folgen "in den vergangenen Wochen einer Neubewertung unterzogen". Mit einer "vollständigen und umfassenden Aufarbeitung der damaligen Ereignisse" wolle man den "besonderen Beziehungen Deutschlands zum Staat Israel Ausdruck verleihen und den Ausgangspunkt einer neuen, lebendigen Erinnerungskultur schaffen".

Die Gesamtkonzeption des Innenministeriums ruht dabei auf drei Säulen: "Aufarbeiten. Erinnern. Anerkennen." Die Gedenkveranstaltung am 5. September, so der Sprecher, solle demnach "Anlass für eine klare politische Einordnung der Geschehnisse des Jahres 1972" sein. Im Zuge dessen soll 50 Jahre nach dem Attentat erstmals eine vollständige Aufarbeitung des Terroranschlags, seiner Vorgeschichte und seiner Folgen in die Wege geleitet werden. Die Bundesregierung plant dazu die Einsetzung einer Kommission, die aus deutschen und israelischen Historikerinnen und Historikern zusammengesetzt sein soll. Bis heute sind Behördenakten zu dem Anschlag für die Öffentlichkeit gesperrt.

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