Ole von Beust im Gespräch:"Unser jetziges System ist falsch"

Für Bürgermeister Ole von Beust ist die Schulreform der schwarz-grünen Koalition nötig, um den sozialen Frieden zu bewahren.

Jens Schneider und Ralf Wiegand

SZ: Das Jahr startet für Ihre Regierung gleich mit dem womöglich wichtigsten Projekt: der Entscheidung zur Schulreform. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Ole von Beust im Gespräch: "Ich bin wohl linker und ökologischer geworden", sagt Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust.

"Ich bin wohl linker und ökologischer geworden", sagt Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust.

(Foto: Foto: dpa)

Ole von Beust: Meine Hoffnung ist, dass es durch die Moderation von Michael Otto für beide Seiten möglich sein wird, einen Weg zu finden, der einen Volksentscheid unnötig macht. Das ist mein Ziel. Otto, den man formal betrachtet eher dem Lager der Reformkritiker zurechnen könnte, wird am Ende seiner Gespräche einen Vorschlag vorlegen, wie so ein Kompromiss aussehen könnte.

SZ: Die Gegner des neuen Schulsystems stammen überwiegend aus dem bürgerlichen Lager. Warum folgt Ihre Kundschaft Ihnen nicht?

Beust: Es stimmt, der größte Zulauf für die Volksinitiative kam aus eher bürgerlichen Gegenden. Dort haben die Leute Angst, dass ihr Gymnasium, so wie sie es kennen, durch diese Reform zerstört wird. Ich beobachte oft, dass sich insbesondere gut gebildete Eltern fürchten, dass ihren Kindern Bildungschancen genommen werden, wenn sie nicht schon nach der vierten Klasse aufs Gymnasium wechseln können. Wenn es ums Wohl ihrer Kinder geht, lassen sich Eltern nicht von Politikern beeinflussen. Da könnte ich jeden Tag eine Rede halten und es würde nichts nützen. Eltern haben ihre eigene Ansicht, was das Beste für die Kinder ist. Man sollte Politik hier nicht überstrapazieren.

SZ: Seit wann glauben Sie persönlich, dass sich im derzeitigen Schulsystem etwas ändern muss?

Beust: Das Thema Bildung als solches beschäftigt mich schon seit 30 Jahren. Ich war ja mal Vorsitzender der Schülerunion und glühender Verfechter der Dreigliedrigkeit des Schulsystems. Je länger ich mich mit dem Thema befasse, und das ging schon lange vor schwarz-grün los, umso mehr bin ich der Überzeugung, dass unser jetziges System falsch ist. Dieser alte bildungspolitische Ansatz, wonach es drei Grundtypen gibt - den handwerklich Begabten mit wenig Intellekt für die Hauptschule, den mäßig handwerklich Begabten mit mehr Intellekt, der auf die Realschule geht, und den wenig handwerklich begabten, aber dafür sehr intelligenten Schüler, der Abitur macht - diese Dreiteilung ist Ausdruck veralteten, ständischen Denkens. Das passt nicht mehr in die Zeit.

SZ: Wie kommen Sie mit Ihrer Position in der CDU an?

Beust: Die einen gucken mich entsetzt an und sagen, "Wie kannst Du nur unserer Position verraten". Und dann gibt es die andere Gruppe, mindestens genauso groß, die sagt: "Du hast völlig recht. Ihr seid mutig, das zu machen. Öffentlich wird endlich der Knoten durchgeschlagen". Ich würde mich freuen, wenn das zur Mehrheitsmeinung würde. Mein Ziel ist es aber nicht, mir da irgendwelche Lorbeeren zu verdienen und die CDU zu neuen bildungspolitischen Ufern zu führen. Ich bin einfach davon überzeugt.

SZ: Was spricht nach Ihrer Überzeugung für längeres gemeinsames Lernen?

Beust: Man braucht einfach länger, um die Potentiale von Kindern zu entwickeln und zu fördern. Vier Jahre sind zu wenig. Wir sind, neben Teilen von Österreich, in Europa das einzige OECD-Land, das nach vier Jahren noch trennt, Ich hatte neulich den amerikanischen Botschafter zum Antrittsbesuch hier. Der fragte: "Was ist eigentlich bei Euch los?" Die amerikanische Generalkonsulin sagt mir: "Was habt Ihr für ein absurdes Bildungssystem?" Egal wo ich in Europa rumkomme, heißt es, man kann doch nicht nach vier Jahren trennen. Das ist so besehen geradezu ein Sonderweg, den wir hier gehen.

SZ: Das heißt, Sie stehen voll und ganz hinter der Reform? Oder können Sie sich vorstellen, sie erst einmal als Modellprojekt zu starten oder zeitlich zu strecken?

Beust: Wenn wir keinen Kompromiss mit der Initiative finden, muss vom Volk entschieden werden. Wir wollen langfristig die Probleme im Schulwesen lösen, dafür müssen das Ziel und der Weg dorthin vereinbart werden. Ein Modellprojekt, das sich über Jahre hinzieht, löst das grundsätzliche Problem nicht. Es geht um das Ob und das Wie, nicht um ein ewiges Abwarten.

SZ: Die Schulreform ist das schwarz-grüne Projekt überhaupt. Bedeutete ein Scheitern das Ende für die Koalition?

Beust: Es wäre ein harter Schlag ins Kontor - aber das Ende der Koalition? Ich hoffe nicht. Es hätte ja nicht der eine den anderen über den Tisch gezogen. Ich glaube, dass Schwarz-Grün für Großstädte ein sehr vernünftiger Weg ist, der die gesellschaftliche Wirklichkeit ganz gut widerspiegelt.

Lesen Sie weiter, wie Ole von Beust soziale Verhältnisse wie in den französischen Banlieues verhindern will.

"Es geht nicht um ein Ausländerproblem"

SZ: Wie ist diese Wirklichkeit?

Beust: Wir machen die Reform ja nicht zum Spaß, sondern weil es zu viele Schulabbrecher gibt, weil wir viel zu wenige Kinder haben, die nicht aus Akademikerkreisen stammen und studieren, und weil wir zu wenig qualifizierte Jugendliche haben, die später dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wir kriegen ein gesellschaftliches Problem, wenn Tausende Jugendliche chancenlos sind. Das kann zu einem Sprengstoff werden wie in den Banlieues in Frankreich.

SZ: Wie kann Politik das verhindern?

Beust: Ich glaube, dass Großstädte vor riesigen gesellschaftlichen Problemen stehen. Es ist lange die Erfolgsstory Hamburgs gewesen - auch unter sozialdemokratischer Führung -, die Interessen der Ökonomie auf der einen Seite und die der kleinen Leute auf der anderen Seite zu vereinen, mit dem gemeinsamen Ziel, die Stadt als solche erfolgreich zu machen. Heute ist auch in anderen Städten die Gesellschaft so diversifiziert, dass es diese Blöcke der wohlhabenden Bürgerlichen auf der einen Seite und der gewerkschaftlich gebundenen, sozialdemokratischen kleinen Leute auf der anderen nicht mehr gibt. Das heißt, die Idee eines solchen Bündnisses entspricht nicht mehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie haben überall auseinanderstrebende Interessen. Es gibt ein grundsätzliches Misstrauen gegen Politik, ein Misstrauen gegen wirtschaftliche Eliten. Die Großstädte neigen dazu, auseinander zu driften. Ich glaube, die europäische Stadt lebt von der Integration, von einer Teilhabe möglichst vieler. Das muss man hinbekommen. Mit den Grünen kann das funktionieren, weil sie eine große Sensibilität für diese Themen mitbringen.

SZ: Was sie ansprechen, klingt eher wie das kleine ABC der SPD.

Beust: Aus meiner Sicht denkt die SPD extrem statisch und verkennt die Problematik. Sie lebt noch in einer sozialdemokratischen Welt der sechziger und siebziger Jahre mit einer gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft der kleinen Leute, denen es schlecht geht und die die SPD als Rettungsanker sehen. Bloß: Die gibt es gar nicht mehr. Die Leute, denen es heute dreckig geht, interessieren sich kaum noch für Politik, vielleicht haben sie einfach nicht mehr die Kraft dazu. Auch die Union lebt manchmal noch in der heilen Welt der siebziger Jahre, das darf man nicht verkennen. Schwarz-grün hat nun die Chance, mit neuen Konzepten die Probleme anzugehen.

SZ: Wie?

Beust: Für mich ist Thema Integration die Schlüsselfrage dafür, wie diese Gesellschaft in Zukunft aussieht. Integration bezieht sich dabei nicht nur auf Menschen mit ausländischem Kulturhintergrund, sondern ich meine die Teilhabe der Familien aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Prekariat ist ein blödes Wort, aber es geht nicht um ein Ausländerproblem. Wir müssen einfach verhindern, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen keine Chance bekommt. Dazu soll die Schulreform einen Beitrag leisten. Dafür müssen wir, wie bei den Themen Klimaschutz, Wirtschaft und Industrie, alte Frontstellungen aufgeben.

SZ: Wie kann das gelingen?

Beust: Politik muss führen. Wenn die Politik sagt, wir lassen es laufen und bedienen von Fall zu Fall Klientelinteressen, kriegen Sie nichts gestaltet. Auch deshalb kämpfen wir für die Schulreform: Ein Großteil der Gegner wählt CDU. Aber Sie müssen auch gegen Eigeninteressen führen, wenn Sie eine Vorstellung haben, wie eine Stadt aussehen soll.

SZ: Müssten Sie dann nicht das Angebot des SPD-Landeschefs Olaf Scholz annehmen und einen parteiübergreifenden Pakt für einen Schulfrieden schließen?

Beust: Es ist meine Hoffnung, das hinzukriegen, eine Regelung, auf die sich die Regierungsparteien mit SPD, FDP, und vielleicht sogar den Linken gemeinsam festlegen für eine Dauer von zehn Jahren, damit wir nicht vor jeder Wahl diese Systemdiskussion haben. Nur so können wir diese alten Frontstellungen aufbrechen, die es seit 30 Jahren gibt. Die gleichen Diskussionen wurden doch damals schon geführt, aber die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt.

SZ: Sie sich anscheinend auch.

Beust: Wenn Sie in diesen Kategorien denken wollen, ja, dann bin ich wohl linker und ökologischer geworden.

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