Am frühen Ostersonntag, gegen 2.40 Uhr, fallen Schüsse in der Oldenburger Innenstadt. Ein Polizeibeamter feuert auf einen 21-Jährigen. Der erliegt wenig später im Krankenhaus seinen Verletzungen. So steht es in der Polizeimeldung vom 20. April. Von einem „Angreifer“ ist darin die Rede, der „mehrere Menschen verletzt und bedroht hatte“. Demnach sei der junge Mann an einer Diskothek abgewiesen worden, habe daraufhin einen „Reizstoff“ in Richtung der Sicherheitsmitarbeiter gesprüht, sei geflohen und habe Personen, die die Verfolgung aufnahmen, mit einem Messer gedroht. Auch die Besatzung eines Streifenwagens habe er besprüht und sei bedrohlich auf die Polizisten zugegangen. Ein 27-jähriger Beamter macht schließlich Gebrauch von der Schusswaffe. Gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren.
Noch am selben Tag versammeln sich Freunde und Angehörige des Toten am Ort des Geschehens. Sie trauern um Lorenz A., aufgewachsen in Oldenburg. Sie fragen sich, ob es auch so weit gekommen wäre, wenn in der Nacht ein Weißer auf die Polizei getroffen wäre und kein schwarzer junger Mann mit Dreadlocks.
Niedersachsens Innenministerin sieht „verheerende Vorwürfe“
Am Dienstagabend veröffentlicht die Staatsanwaltschaft Oldenburg das Ergebnis der Obduktion. Mindestens viermal ist auf Lorenz A. geschossen worden, davon zeugen Verletzungen an Hüfte, Oberkörper, Oberschenkel und am Kopf. Drei Schüsse trafen den Getöteten von hinten.
Ob Lorenz A. tatsächlich ein Messer bei sich führte, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Staatsanwaltschaft will vorerst keine weiteren Details aus der Tatnacht preisgeben, um mögliche Zeugenaussagen nicht zu beeinflussen. Ermittelt wird nun wegen Totschlags, und in Oldenburg hat die Debatte um mögliche Polizeigewalt und strukturellen Rassismus auch die Politik erreicht. „Die Obduktionsergebnisse werfen schwerwiegende Fragen und verheerende Vorwürfe auf, die im Rahmen der weiteren Ermittlungen schonungslos beantwortet und aufgeklärt werden müssen“, erklärt Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD).
Alexander Saade, polizeipolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, warnt vor einer Vorverurteilung. Niedersachsens Polizei sei nicht dafür bekannt, unbedacht zur Waffe zu greifen. „Unsere Beamtinnen und Beamten leisten tagtäglich einen verantwortungsvollen Dienst für die Sicherheit aller – und stehen in herausfordernden Lagen oft unter enormem Druck. Dafür verdienen sie Vertrauen – ebenso wie eine faire Bewertung ihres Handelns auf Grundlage gesicherter Fakten.“
„Es handelt sich nicht um Einzelfälle – im Gegenteil.“
Die Deutsche Polizeigewerkschaft nimmt den Fall zum Anlass, die Forderung nach dem Einsatz von Tasern zu erneuern. In der Stadt mischen sich Betroffenheit und Wut. Die Nordwest-Zeitung schließt am Mittwoch die Kommentarfunktion ihrer Social-Media-Kanäle, weil sich unter den Beiträgen Gewaltaufrufe und rassistische Beleidigungen sammeln.
Angehörige, Freunde und Unterstützer des Getöteten haben sich zu einer Initiative zusammengefunden. Unter dem Motto „Gerechtigkeit für Lorenz“ sammeln sie Spenden für die Beerdigung und mögliche Anwaltskosten. In einem Online-Aufruf sprechen die Aktivisten von Mord und erheben den Vorwurf des strukturellen Rassismus innerhalb der Polizei. „Es handelt sich nicht um Einzelfälle – im Gegenteil.“ Sie verweisen auf den Tod eines Geflüchteten aus Gambia, der 2024 in Nienburg von Polizisten erschossen wurde, weil er seine Freundin mit einem Messer bedroht haben soll. Im Nachgang kamen Zweifel an dieser Schilderung auf, ein am Einsatz beteiligter Beamter hatte in den sozialen Medien rechtsextreme Inhalte verbreitet. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein.
Die Klärung der Frage, ob der Schusswaffeneinsatz in Oldenburg verhältnismäßig war, liegt nun aus Neutralitätsgründen bei der Polizeiinspektion Delmenhorst. Vor vier Jahren war in einer Zelle der Delmenhorster Polizei der 19-jährige Qosay K. kollabiert, zuvor festgesetzt, weil er im Park einen Joint rauchen wollte. Auch damals gab es Zweifel an der Version eines tragischen Unglücks. Ein privates Gutachten nannte äußere Gewalt und Sauerstoffmangel als Todesursache.
Für diesen Freitag ruft das Unterstützerbündnis zu einer Kundgebung auf. Etwa 1000 Menschen werden dann in Oldenburgs Innenstadt erwartet.