Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die Freihandelsverhandlungen zwischen den USA und der Europäischen Union wiederbeleben. Beim Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung in Berlin warb Scholz am Dienstag dafür, die Idee eines Industriezollabkommens mit den USA "noch einmal sehr genau" anzuschauen. Nach dem Wahlsieg des Rechtspopulisten Donald Trump in den USA 2016 waren die Verhandlungen über das auch in Europa umstrittene transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zum Erliegen gekommen und auch nach dem Amtsantritt des Demokraten Joe Biden nicht wieder aufgenommen worden.
In einem neuen Anlauf zumindest für ein Teilabkommen sieht Scholz nun ein Mittel gegen einen möglichen Handelskrieg zwischen den USA und der EU. "Schließlich ist solch ein Abkommen allemal besser als ein Überbietungswettbewerb bei Subventionen und Schutzzöllen, wie manche ihn infolge des amerikanischen Inflation Reduction Act auf uns zukommen sehen", sagte er. Das vom US-Kongress im Sommer beschlossene Gesetz stellt große Summen für den Klimaschutz bereit, schließt europäische Unternehmen aber aus. Das hat zu scharfer Kritik in der EU geführt. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron forderte als Antwort Subventionen für europäische Hersteller.
Eine Arbeitsgruppe soll den Konflikt zwischen EU und den USA entschärfen
Scholz verwies darauf, dass eine amerikanisch-europäische Taskforce eingesetzt worden sei, um den Konflikt zu entschärfen. Auch er selbst sei im Gespräch mit US-Präsident Joe Biden. "Da sind wir hart dran", betonte er. Der Bundeskanzler hob aber auch hervor, dass auch Deutschland klimafreundliche Zukunftstechnologien wie bei der Elektromobilität fördere. "Da sind wir ja jetzt gar nicht so schlecht", sagte er. Geachtet werden müsse darauf, dass der Wettbewerb nicht verzerrt werde.
"Europa muss auch eine gemeinsame Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA finden, damit unsere Unternehmen im Wettbewerb bestehen können", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstag bei einem Besuch in Paris. Bereits Anfang November hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vor einem Handelskonflikt gewarnt. In Washington dürfe man nicht verkennen, "dass wir unsererseits auch handlungsfähig sind". In einem Positionspapier sprachen sich Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), zugleich dafür aus, mit den USA einen neuen Anlauf für ein Freihandelsabkommen zu nehmen.
Beim SZ-Wirtschaftsgipfel warb Scholz grundsätzlich für Freihandelsabkommen mit möglichst vielen Partnern. Europa könne dabei seine "große Marktrelevanz" nutzen und über Abkommen mit hohen Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards verhandeln - "auch wenn sich vielleicht nicht jeder unserer Vorschläge eins zu eins durchsetzen lässt". Gemünzt vor allem auf China nannte Scholz als Ziel eine möglichst weitgehende Diversifizierung, um Abhängigkeiten von einzelnen Partnern zu verhindern. Mit Russland habe man erlebt, "was es heißt, sich bei einer strategisch entscheidenden Ressource wie Gas zu sehr in Abhängigkeiten zu begeben". Seine Wahrnehmung nach Gesprächen mit deutschen Wirtschaftsvertretern sei: "Dieser Fehler passiert uns kein zweites Mal."