SPD-Parteivorsitz:Lebenszeichen am Abgrund

FILE PHOTO: German Finance Minister Olaf Scholz is pictured in his office during an interview with Reuters in Berlin

Finanzminister Olaf Scholz.

(Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Überraschend zeigen prominente Genossen wie Olaf Scholz Interesse am Parteivorsitz. Das gibt der SPD ein wenig Schwung - und der großen Koalition vielleicht doch noch eine Chance.

Kommentar von Ferdos Forudastan

Ist das Glas halb voll oder halb leer? Zeigen die aktuellen Kandidaturen um den SPD-Vorsitz, welches personelle Potenzial in dieser Partei am Rande des Abgrunds doch noch steckt? Oder macht der plötzliche, zum Teil auch überraschende Ansturm zunehmend prominenter Genossen auf die Spitze deutlich, dass die Sozialdemokraten einfach nicht wissen, was sie wollen? Vor allem: Ist die Bereitschaft von Olaf Scholz, sich nun doch um den Vorsitz zu bewerben, die gute Tat eines Parteisoldaten? Oder Ausdruck der Sorge eines ehrgeizigen Politikers, nach dem absehbaren Ende der großen Koalition und dem Verlust des eigenen Ministeramts in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden?

Wahrscheinlich von allem etwas. Das Kandidatenkarussell war erst zäh angelaufen, dann zuweilen fast stehen geblieben und hatte zuletzt den Blick immer öfter auf einen peinlichen Umstand gelenkt: dass die infrage kommenden führenden Genossen das höchste Amt in der SPD offenbar für zu unattraktiv hielten, um sich darum zu bewerben. Anders ausgedrückt: dass das Verantwortungsgefühl für ihre nahezu am Boden liegende Partei nicht groß genug war, um diesen zugegebenermaßen riskanten Schritt zu gehen. Mag sein, dass der eine oder die andere in der SPD nun unter dem Druck der öffentlichen Kritik an den Sozialdemokraten und ihrem Findungsprozess für die künftige Führung reagiert haben. Oder dass mancher nur deswegen den Finger hebt, um andere Genossen zu verhindern. Aber ganz gleich, was das Motiv hinter den Bewerbungen ist - Hauptsache das quälende Warten auf halbwegs prominente und/oder ranghohe Aspiranten zieht sich nicht noch länger hin.

Der prominenteste, ranghöchste unter ihnen, Olaf Scholz, kann nun für sich in Anspruch nehmen, dass seine Bereitschaft zur Kandidatur ein wenig Druck von der Partei nimmt, dass ihr Vorsitz nun nicht ganz so nach saurem Bier riecht wie bisher. Zwar lässt sich gegen das Signal des Vizekanzlers und Bundesfinanzministers einwenden, dass es nicht allzu viel Strahlkraft hat: weil es spät kommt; weil Scholz und sein Umfeld offenbar Wert auf den Eindruck legen, dass nicht Lust und Leidenschaft ihn drängen, sondern graues Pflichtgefühl; weil er selbst noch vor einigen Wochen ausgeschlossen hatte, für den Parteivorsitz zu kandidieren - und das mit dem für einen Politiker mit höchsten Ambitionen schwachen Argument, diese Aufgabe sei neben seinem Amt in der Bundesregierung nicht zu schaffen; weil Scholz bei vielen Genossen recht unbeliebt ist; weil er, der schon so lange zur Führung der SPD gehört, für das Gegenteil von Erneuerung steht, nach der so viele Genossen sich heftig sehnen; weil ihm - zumindest bis Freitagnachmittag - eine Frau an der Seite fehlt, mit der er die von großen Teilen der Partei favorisierte Doppelspitze bilden könnte.

Trotz dem verleiht Scholz' zu erwartender Schritt der SPD etwas mehr Schwung als die anderen Kandidaturen. Und er wirft noch stärker als bisher die Frage auf, wie es mit der großen Koalition weitergeht. Als Anhänger von Schwarz-Rot steht Scholz, anders als wohl die meisten seiner Konkurrenten, für einen Verbleib in dem in der SPD weithin ungeliebten Bündnis. Und vielleicht beflügelt ja auch die an den Kandidaten entlang geführte Auseinandersetzung ums Drinbleiben oder Rausgehen die zuletzt so müde SPD ein wenig.

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