Bundestagswahl:Olaf Scholz pendelt zwischen den Welten

Olaf Scholz Bundestagswahl

Der portugiesische Regierungschef António Costa, sagt, er werde mit jeder Bundesregierung zusammenarbeiten. Olaf Scholz versucht, die kühle Antwort zu relativieren.

(Foto: Pedro Fiuza/Imago/NurPhoto)

Das Treffen der EU-Finanzminister in Lissabon zeigt: Als Ressortchef ist Scholz anerkannt. Doch den Kanzlerkandidaten holt der portugiesische Regierungschef Costa in die Realität zurück.

Von Cerstin Gammelin, Lissabon

Als der deutsche Finanzminister Olaf Scholz mit den europäischen Kollegen in Lissabon zu Abend isst, werden im Fernsehen zu Hause die neuen Umfragewerte präsentiert. Es ist Freitagabend, Scholz hat einen langen Tag hinter sich. Er ist um zwei Uhr nachts angekommen, früh raus, hat lange über Konjunktur und Inflation debattiert und für seine Idee eines Klimaklubs geworben, der die globalen Maßnahmen koordinieren soll. Er hat sich einen Bissen verdient - und dann das: 14 Prozent für die SPD im ZDF-Politbarometer, noch etwas weiter runter also. Andererseits: Im direkten Vergleich mit den beiden Mitbewerbern um das Kanzleramt liegt der SPD-Kandidat Scholz vorne.

Dass in Deutschland bald gewählt wird, ist auch in Lissabon ein Gesprächsthema. Das Treffen der EU-Finanzminister in der portugiesischen Hauptstadt ist das erste seit neun Monaten. Man freut sich über Rituale wie das Aufstellen fürs Familienfoto, Kaffeepausen, und dass man unter sich ist. Bei den digitalen Konferenzen kam selten Vertraulichkeit auf, wer wusste schon, wer alles mithören konnte. Und so geistert auch die Frage durch das Treffen, was die Bundestagswahl bringen wird. Starke grüne Parteien sind in Europa die Ausnahme, man fragt nach, was die deutschen Grünen eigentlich für eine Truppe seien. Und ob der Kandidat Scholz wirklich eine Chance hat, mit der SPD die Bundestagswahl zu gewinnen?

Man hat den Eindruck, dass Scholz zwischen zwei Welten pendelt. In der einen berät er als deutscher Minister mit 26 Kollegen, die sich daran gewöhnt haben, dass er "einen ganz anderen Stil als Wolfgang Schäuble" pflegt, wie einer erzählt, der ihn in den Besprechungen erlebt. Scholz sei "nicht der Wortführer", greife manchmal in Konflikte ein und versuche zu vermitteln.

Den Drang des CDU-Politikers, zu bestimmen oder bei Kreditprogrammen mit Zuckerbrot und Peitsche zu arbeiten, den habe der Sozialdemokrat nicht. Dass er mit dem französischen Kollegen Bruno Le Maire den EU-Wiederaufbaufonds konzipierte, hat ihm viel Anerkennung gebracht. Die EU-Kommission nimmt erstmals in großem Stil Schulden auf, die überwiegend als Zuschüsse ausgereicht werden, um die nationalen Wirtschaften zu modernisieren. Man ist auch froh, dass der Wettbewerb um niedrigste Unternehmensteuern abflaut, auch da hat Scholz über seine Idee einer globalen Mindeststeuer geholfen. Die Realität erscheint als Welt, in der Scholz einiges voranbringt.

Müsste seine Partei nicht Wahlplakate drucken mit dem Slogan "Wählt Scholz - trotz SPD"?

Die andere Welt ist die, in der er Kanzlerkandidat der SPD ist und erklärt, was er alles vorantreiben werde, wenn er die Bundestagswahl gewonnen hat. Mit Werten um die 14 Prozent für die SPD? Die seien "im Bereich der Erwartungen", sagt er, die nächsten Monate seien entscheidend. Das mag kämpferisch klingen, kann aber kaum den Eindruck verhindern, dass die Welt des Kandidaten eine Scheinwelt zu sein scheint, oder sollte man sagen: Märchenwelt? Wer versucht, mit Fragen wie der, wie er die Umfragen drehen will, oder ob nicht die SPD Wahlplakate drucken müsste mit dem Slogan "Wählt Scholz - trotz SPD", wieder in die Realität zu gelangen, findet in seinen Antworten bislang nicht die Tür dafür. Er sei angetreten, um für die SPD das Kanzleramt zu gewinnen, wiederholt Scholz.

In Lissabon ist es ausgerechnet ein Sozialdemokrat, der ihn in die Realität zurückholt. Nach den Beratungen mit den Finanzministern schaut Scholz noch bei Premierminister António Costa vorbei, der auch Generalsekretär der Sozialistischen Partei ist. Vor dem Amtssitz wehen drei Fahnen, die portugiesische, die europäische und die der EU-Ratspräsidentschaft. Kurz bevor der Gast eintrifft, tritt ein Mitarbeiter an den vierten Mast - und hisst eine regionale Flagge. Es gibt keine deutsche Flagge zu Ehren des deutschen Vizekanzlers, auch wenn der bald Kollege auf Augenhöhe sein will.

Welchen Tipp er Scholz geben könnte für die Wahl, schließlich habe er selbst schon aus ähnlich aussichtsloser Position gewonnen, wird Costa später gefragt. Die Antwort fällt diplomatisch-kühl aus: Er arbeite mit jeder Bundesregierung zusammen. Dafür erklärt Scholz, der neben ihm steht, was er von dem Portugiesen lernen kann: "Wie man das Triple holt. Bürgermeister einer Großstadt, Minister im Kabinett - und dann Regierungschef."

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