Olaf Scholz:Deutschlands beliebtester Politiker - und keiner hat's gemerkt

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Sonst sitzt er auf dem Vizeplatz, an diesem Mittwoch wird der Finanzminister die Kabinettssitzung leiten - Gelegenheit für ein Vorgefühl. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Seit vier Monaten ist der Sozialdemokrat Olaf Scholz Bundesfinanzminister und Vize-Kanzler.
  • Dass er seinen Job ganz gut macht, findet nicht nur der Koalitionspartner CDU/CSU, sondern laut ZDF-Politbarometer auch die Bevölkerung.
  • In der SPD stößt auf Kritik, dass Scholz die Politik seines Vorgängers Wolfgang Schäuble fortsetzt.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

An diesem Mittwoch wird Olaf Scholz erfahren, wie es sich anfühlt, Bundeskanzler zu sein. Der Sozialdemokrat wird am Kabinettstisch im Kanzleramt im Chefsessel sitzen und die Runde der Minister leiten. Man wird ein Gesetz gegen Steuerbetrug im Internet beschließen und eines, um E-Autos zu fördern. Man wird wie sonst nicht viel reden, alles wird sein wie immer, nur dass eben nicht Angela Merkel die Chefin ist, sondern Scholz der Chef.

Das Kanzler-sein-für-einen-Tag mag für Scholz nur eine Anekdote sein. Die SPD hat mehr vor, sie will sich erneuern, Vertrauen gewinnen, in der Wählergunst nach oben steigen. Wonach es derzeit nicht aussieht. Die neueste Umfrage sieht die Sozialdemokraten bei 18 Prozent, mal wieder. Würde man Scholz fragen, wie es so klappen soll mit der Aktion Kanzleramt, fiele die Antwort sicher kurz aus. Scholz glaubt, dass die konstanten Werte darauf hinweisen, dass die SPD sich nach der Wahlniederlage gefangen hat. Aber mehr auch nicht. Scholz ist einer, der darauf hinweist, "dass es ein Fehler ist zu glauben, dass schon alles gewonnen ist, wenn man einmal was richtig gemacht hat".

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Seit vier Monaten ist der wortkarge 60-jährige Bundesfinanzminister und Vize-Kanzler. Aus Sicht des Koalitionspartners macht Scholz vieles richtig. Man sei "ganz zufrieden", sagt Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus. Scholz setze die Politik des ausgeglichenen Haushalts seines Vorgängers Wolfgang Schäuble (CDU) fort.

Das Lob bringt Scholz bei den Linken in seiner Partei in die Bredouille. Vom Schäuble-Kurs abweichen will er trotzdem nicht. Er will, wie er sagt, mit einem "rechten Vorurteil" aufräumen, wonach man entweder linke Politik und Schulden machen kann oder konservative Politik und einen ordentlichen Haushalt. Das Vorurteil sei "eine Falle, die sehr scharf aufgestellt ist". Weshalb zu beweisen sei, dass auch Sozialdemokraten das können, was man der Union zuschreibt: einen soliden Haushalt aufstellen, ordentliche Wirtschaftspolitik machen und staatliche Aufgaben sicher erfüllen. Und dazu ordentliche Arbeits- und Sozialpolitik zu betreiben.

Es ist ein Vorhaben, das auf Widerspruch stößt. Scholz wolle "die SPD zu einer besseren CDU machen", resümiert ein Vordenker der Partei. Das werde nicht funktionieren, weil der Wähler stets das Original wähle. Das britische Wochenmagazin The Economist schrieb, Scholz präsentiere sich als "Vati" der Nation, als eine Art Gegenentwurf zu Merkels "Mutti".

Scholz hat sein Ministerium sorgfältig zur Machtzentrale der Sozialdemokraten ausgebaut. Anders als andere Bundesminister hat er keine Mitarbeiter auf einflussreichen Posten übernommen. Die neuen Staatssekretäre sind alte Vertraute, Mitstreiter, auf die er sich verlassen kann: Wolfgang Schmidt, Rolf Bösinger und Werner Gatzer. Nur Jörg Kukies, der ehemalige Co-Chef von Goldman-Sachs-Deutschland, ist neu in der Runde.

Müsste Scholz ein Handbuch mit Empfehlungen für die Aktion Kanzleramt schreiben, stünden Appelle wie Durchhalten! Weitermachen! Zuversicht bewahren! ganz oben. Wo der Vizekanzler in den vergangenen Monaten aufgetreten ist, ob im Bundestag, beim G-20-Treffen in Buenos Aires oder als Redner bei der Deutschen Bank, stets kreiste er um eine Botschaft: Haltet aus, tretet konsistent auf, taktiert nicht, nur das schafft Vertrauen.

Im Flieger jüngst nach Argentinien lässt er noch einmal den Streit zwischen CDU und CSU Revue passieren, der fast das frühe Aus der großen Koalition bedeutet hätte. Natürlich ist alles vertraulich, aber es klingt durch, dass es am Ende des Streits einen der seltenen Glücksmomente für die Sozialdemokraten gegeben hat. Von Stolz ist die Rede und von einem coolen Gefühl, dass die SPD, anders als früher, koordiniert und klug auf die Union reagiert habe. Scholz sagt bei solchen Gelegenheiten: "Das müssen wir länger durchhalten, dass es alle sehen. Und noch länger, bis alle sagen, so machen wir es." Spätestens 2021, wenn wieder gewählt wird, sollen sich die Bürger an die beständige SPD erinnern.

Dass Scholz damit nicht ganz falsch liegt, ist am ZDF-Politbarometer abzulesen. Dort sind die CSU-Politiker Horst Seehofer und Markus Söder nach dem heftigen Streit über die Flüchtlingspolitik in den Sympathiewerten abgestürzt. Was darüber fast unterging, war der Wechsel auf Platz 1, den Olaf Scholz übernommen hat. Genau das, sagen linke SPD-ler, sei das Problem. Scholz ist der beliebteste Politiker. Aber kaum einer nehme es wahr.

Scholz selbst lässt durchblicken, dass das stille Vordringen an die Spitze eher der Stil ist, den er mag. Was ihm weniger gefallen dürfte ist, dass die Umfrage auch zutage förderte, dass die Beliebtheit von Scholz bei Wählern zugenommen hatte, die nicht als SPD-nah gelten. Und gleichzeitig bei den Sympathisanten sank.

Ob ihn das anficht, lässt Scholz nicht erkennen. Lieber erinnert er daran, dass Zuversicht zum Markenkern der SPD gehöre. Er verweist auf "Wann wir schreiten Seit' an Seit'", das Lied der Arbeiterbewegung, in dem es heißt, "mit uns zieht die neue Zeit".

© SZ vom 01.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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