Olaf Scholz:Demut für Europa

Olaf Scholz: Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Mittwoch an der Humboldt-Uni für ein starkes Europa geworben. „Es ist an uns, das zu schaffen“, sagte der Finanzminister.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Mittwoch an der Humboldt-Uni für ein starkes Europa geworben. „Es ist an uns, das zu schaffen“, sagte der Finanzminister.

(Foto: Wolfgang Kumm/afp)

Der Vizekanzler fordert Deutsche auf, "großzügiger" zu sein: Man müsse seine Interessen auch mal zurückstellen, sagt er.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Nach zwei Stunden des Redens an der Humboldt-Universität kommt Olaf Scholz kurz ins Stocken. Ein Student will wissen, wieso er nicht von jenen Vorschlägen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron spricht, die er ablehnt - sondern nur von den anderen, die er gut findet. Es dauert eine Sekunde, bis der sozialdemokratische Vizekanzler und Bundesfinanzminister antwortet. "Das ist nicht mein Stil."

Scholz redet, daran lässt er keinen Zweifel, bevorzugt über das, was er für sinnvoll, einigungsfähig und durchsetzbar erachtet. Er wolle "Erträge liefern, nicht Vorträge", hatte Scholz erst kürzlich gesagt, deshalb sei er im politischen Geschäft, in dem seiner Ansicht nach sowieso zu viel geredet und zu wenig geliefert werde. Das macht er auch am Mittwoch deutlich, als er auf Joschka Fischer angesprochen wird, den grünen Außenminister, der im Jahr 2000 mit einer fulminanten Europarede die Tradition dieser Auftritte an der Berliner Humboldt-Uni begründet hat. Ja, sagt Scholz, Fischer habe eine beeindruckende Rede gehalten. "Aber die europäische Verfassungsreform ist bis heute nicht umgesetzt."

Man merkt den Ausführungen von Scholz an, dass er sie sorgfältig vorbereitet hat. Zuerst spannt er den ganz großen Bogen. Europa müsse souveräner werden, politischer. "Ein starkes, souveränes, ein gerechtes Europa liegt in unserem ureigensten Interesse", sagt er. Die Bundesrepublik spiele "eine besondere Rolle", weil sie in der Mitte Europas liege, wegen der Einwohnerzahl und der Wirtschaftsstärke. "Was immer wir machen oder nicht machen, es beeinflusst direkt unsere Nachbarn." Ohne den Koalitionspartner Union zu nennen, der fast alles ablehnt, was Macron vorgeschlagen hat, und dazu den Vorschlag des Vizekanzlers nach einer europäischen Arbeitslosenversicherung, fordert er die Deutschen auf, bei Europa "großzügiger" zu sein. Er meine das ausdrücklich nicht finanziell, sondern grundsätzlich: Deutschland müsse seine Interessen auch mal zurückstellen, dürfe nicht belehren, nicht spalten. "Wir dürfen nicht mit den klassischen Reflexen kommen."

Den klassischen Reflexen ist zumindest teilweise geschuldet, dass die europäischen Beschlüsse, die Scholz für "Anfang Dezember" ankündigt, kleiner ausfallen, als Paris das für nötig erachtet.

Zu den Projekten, die Scholz in der Europäischen Union für realisierbar hält, gehört eine abgespeckte Finanztransaktionssteuer, die nur für Aktiengeschäfte gelten soll. Man werde sich "mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit" auch auf ein europäisches Vorgehen bei der Mindestbesteuerung von großen Konzernen einigen. Das soll aber nur dann umgesetzt werden, wenn es bis 2020 keine weltweite Lösung gibt. Dass Paris an dieser Stelle verschnupft ist, weil Scholz sich damit gegen die Idee sperrt, eine europäische Digitalsteuer einzuführen, sagt er nicht. Stattdessen warnt er davor, das internationale System der Besteuerung zu ändern. Deutschland würde bei den Steuereinnahmen einiges verlieren.

Und so arbeitet der Vize-Kanzler ein Thema nach dem anderen ab. Scholz hat dafür eine Art Baukastensystem entwickelt. Für jeden Auftritt entnimmt er dem Kasten die Redebausteine, die er braucht. Den zum Euro, zur Bankenunion, zur Arbeitslosenrückversicherung und zum Währungsfonds. Die nutzt er auch an der Humboldt-Uni. Danach kommen die zur Verteidigung, zu den Außengrenzen, Afrika und den europäischen Transferzahlungen, die man in Deutschland verschweige aus Sorge, die Bürger könnten sich empören. Scholz fordert, sich ehrlich zu machen, und meint dabei wieder die Union, die reflexhaft vor der Transferunion warnt. Das sei absurd, sagt Scholz. Weil es Transfers schon lange gebe. Und wie ist das nun mit Frankreich? Als Hanseat könne er keine so schöne Liebeserklärung abgeben, wie sie Macron kürzlich an Deutschland gerichtet hat, sagt Scholz. Es sei eine "große Geste" gewesen: "Merci, Emmanuel."

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