Wen Jiabao wählte unmissverständliche Worte: "Ich habe nie in irgendeiner Form meine Position ausgenutzt, um persönlichen Vorteile zu erzielen", schrieb der ehemaligen Premier der Volksrepublik China vor einigen Tagen in einem Brief an die Zeitung Ming Pao. Es war der Versuch, seinen Namen reinzuwaschen.
Seinen Namen, wohlgemerkt. Nicht den seiner Kinder. Über die hatte er einem chinesischen Topmanager zufolge gesagt, dass sie ihn anwidern. Seiner Tochter Wen Ruchun und seinem Sohn Wen Yunsong eilt der Ruf voraus, für ein gewisses Sümmchen einiges bewegen zu können.
In den sogenannten Offshore-Leaks-Daten tauchen allerhand chinesische Politikersprösslinge auf. Außer Wens Kindern auch der Schwager von Staatschef Xi Jinping, zudem die Tochter des früheren Premierministers Li Peng, ein Neffe zweiten Grades von Ex-Staatschef Hu Jintao und etwa ein Schwiegersohn des Reformers Deng ( mehr Fälle hier als interaktive Grafik). Briefkastenfirmen in Steueroasen, Geschäfte am Rande der Legalität - verwickelt sind gelegentlich auch westliche Banken ( mehr dazu hier).
Der Fall, an dem man all das gut erzählen kann, ist der Fall Wen: Wen Ruchun, die Tochter des früheren Premiers, stand von 2000 an für eineinhalb Jahre in den Diensten der Schweizer Großbank Credit Suisse. Zu einer Zeit, als die Schweizer Großbank vermutlich schon erste Pläne schmiedete, in den chinesischen Markt der Vermögensverwaltung einzutreten, arbeitete sie in der Pekinger Filiale des Geldhauses. Wen war gut ausgebildet, sie hatte unter dem Namen "Lily Chang" in den Vereinigten Staaten studiert, das machte sie interessant. Gleichzeitig war sie die Tochter eines einflussreichen Politikers. Das dürfte sie noch interessanter gemacht haben.
Credit Suisse war schon damals auf Expansionskurs. Die Volksrepublik hat 1,3 Milliarden Einwohner - viele potenzielle Kunden. 2005 gründete Credit Suisse eine gemeinsame Tochtergesellschaft mit der Staatsbank ICBC und trat damit als erste westliche Bank in den chinesischen Private-Banking-Markt ein.
Ob dabei die Kontakte zur ehemaligen Mitarbeiterin Wen Ruchun eine Rolle gespielt haben, wollte Credit Suisse auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung nicht kommentieren. Nur so viel: Die Geschäftsbeziehung der Bank mit politisch exponierten Personen seien in "einem detaillierten Verfahren geregelt". Diese Details erläuterte Credit Suisse nicht.
Nach Recherchen der New York Times hat das Schweizer Bankhaus später Geschäfte mit einer kleinen Beratungsfirma namens Fullmark Consultants gemacht. Auch die US-Bank JP Morgan schätzte die Dienste des Mini-Betriebes mit Adresse in Peking. Doch was hatte die Firma, was die Konkurrenz nicht hatte? Was rechtfertigte monatliche Honorare von 75.000 Dollar? Die amerikanische Börsenaufsicht SEC hat laut New York Times den Verdacht, dass Fullmark den Zweck hatte, Bestechungsgelder von mehr als einer Million Dollar an die Familie Wen zu zahlen.
Aus den Offshore-Leaks-Daten geht hervor, dass die Firma im August 2004 auf den Britischen Jungferninseln gegründet wurde, und zwar von Liu Chunhang, dem Ehemann von Wen Ruchun, dem Schwiegersohn von Wen Jiabao. Die Papiere zeigen außerdem, dass die Firma schließlich umgeschrieben wurde auf eine Geschäftsfrau namens Zhang Yuhong - eine Freundin der Familie, die nach Recherchen der New York Times wiederholt als eine Art Strohfrau des Wen-Clans diente, zum Beispiel bei Diamanten- oder Schmuckgeschäften.
In den Offshore-Leaks-Datenbank findet sich eine E-Mail, die der Finanzdienstleister Portcullis verschickt hat, der Briefkastenfirmen in Steueroasen aufsetzt. Portcullis forderte Kopien von Zhang Yuhongs Pass und Personalausweis an. Eine E-Mail ging in Kopie an: Lily Chang.
Ihr Bruder Wen Yunsong, der sich auch gern "Winston Wen" nennt, war laut den Offshore-Leaks-Daten einige Jahre Besitzer einer ähnlichen Firma: Sie heißt "Trend Gold Consultants Limited", wurde mit Hilfe von Credit Suisse gegründet und hat ihren Sitz auf den Britischen Jungferninseln. Fragen danach, was der Zweck seines Unternehmens ist, ließ er unbeantwortet.