Offshore-Leaks China:Die Tricks der roten Prinzlinge

A bartender holds champagne for guests during a reception prior to a fashion show at the Ming Dynasty City Wall Relics Park in Beijing

In China gibt es Armut - und Luxus (Symbolfoto).

(Foto: Kim Kyung-Hoon/Reuters)

Offiziell hat Chinas Führung Korruption und Vetternwirtschaft den Kampf angesagt. Doch in den Offshore-Leaks-Daten finden sich zahlreiche prominente Chinesen. Besonders mächtige Kommunisten verstecken ihr Geld gern in anonymen Briefkastenfirmen.

Von B. Brinkmann, C. Giesen, F. Obermaier, B. Obermayer, A. Olesen und M. Walker

Klar und unmissverständlich hatte er sich ausgedrückt, der chinesische Staatschef Xi Jinping. Er werde die Korruption und die Gier nach Luxus ausmerzen, sowohl bei den bestechlichen unteren Rängen, den "Fliegen", als auch weit oben im System, wo die Einflussreichen die Hand aufhalten, die "Tiger". Und Xi Jinping ließ Taten folgen: Auf Parteibanketten waren fortan teure Schnäpse verboten, außerdem gab es ein Werbeverbot für Luxusuhren. Vor allem aber traf die Kampagne in den vergangenen Monaten mehr als 100.000 Beamte, die entlassen wurden.

Doch was Xi Jinping nicht auf den Weg brachte, ist die längst auch in China verbreitete Idee der Transparenz - die Vorstellung, dass die wirklich Mächtigen offenlegen, welche Besitztümer sie und ihre nahen Verwandten angehäuft haben. Dann wäre bekannt geworden, dass ausgerechnet Xi Jinpings Schwager Mitbesitzer einer Firma ist, die auf den Britischen Jungferninseln angemeldet ist - einem Land, das vor allem als Steueroase bekannt ist.

Etliche nahe Verwandte der wichtigsten Politiker Chinas der vergangenen Jahre, das zeigen vertrauliche Unterlagen aus dem Offshore-Leaks-Bestand, stehen in Verbindung zu anonymen Offshore-Firmen auf den Britischen Jungferninseln und anderen Steueroasen. Außer dem Schwager von Staatschef Xi Jinping sind in den Dokumenten auch der Sohn und der Schwiegersohn des langjährigen Premierministers Wen Jiabao zu finden, zudem die Tochter des früheren Premierministers Li Peng, ein Neffe zweiten Grades von Ex-Staatschef Hu Jintao, ein Schwiegersohn des Reformers Deng Xiaoping und weitere Prinzlinge - so nennt man die engen Verwandten der chinesischen Machtelite.

In den Unterlagen sind auch etliche Mitglieder des Nationalen Volkskongresses gelistet, genauso einige der reichsten Männer und Frauen des Landes - unter ihnen mindestens 15 aus der chinesischen Milliardärsliste, die das US-Magazin Forbes herausgibt. Außerdem eine Menge Führungskräfte staatlicher Unternehmen, die in Korruptionsskandale verwickelt waren.

Die Dokumente - Verträge, E-Mails, Personalausweise und interne Akten - belegen, wie viel Wert und Mühe die Elite darauf legt, ihren Reichtum vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen. Die Unterlagen zeigen aber auch, dass westliche Firmen, darunter die Deutsche Bank, die UBS und Credit Suisse, dabei behilflich waren, diese Strukturen in Steueroasen zu errichten und instand zu halten.

Die Offshore-Leaks-Unterlagen zu China sind Teil jenes Datenbergs, den das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) in Washington vor gut zwei Jahren von einer anonymen Quelle zugespielt bekam. Eine erste Welle von Veröffentlichungen im April vergangenen Jahres - unter anderem auch in der Süddeutschen Zeitung und den Programmen des Norddeutschen Rundfunks - führte weltweit zu einer Reihe von Ermittlungen und zu Rücktritten hochrangiger Banker und Politiker. In einer zweiten Welle arbeitete sich in den vergangenen Monaten ein internationales Team von Journalisten in Hongkong durch die chinesischen Daten (Werkstattbericht hier) und stellte fest, dass das Ausmaß der Verstrickung mit der Offshore-Welt in China weit größer ist als beim ersten Anlauf - sowohl was die Zahlen angeht, mehr als 21.000 Offshore-Firmen stammen von Kunden aus der Volksrepublik und Hongkong, als auch was die Prominenz betrifft: Anders als in den meisten westlichen Ländern sind höchste Regierungskreise betroffen.

Die China-Daten stammen ebenfalls aus dem Inneren zweier auf Offshorefirmen spezialisierter Finanzdienstleister, Portcullis Trustnet aus Singapur und Commonwealth Trust Limited auf den Britischen Jungferninseln. Vor allem Portcullis hat sich auf den asiatischen Markt spezialisiert. In ihren Offshore-Konstrukten können Chinesen Vermögen lagern, von dem Geschäftspartner, der Staat und die Öffentlichkeit nichts erfahren. Und wenn doch, ist es vor jedem Zugriff sicher. Dafür sorgen die Gesetze der Steueroasen.

Unter den Tausenden Nutzern sind längst nicht nur Sprösslinge des "Roten Adels", sondern vor allem Geschäftsleute. Nahezu jeder Bereich der chinesischen Wirtschaft scheint in dieser Schattenwelt Fuß gefasst zu haben, von der Ölindustrie zur Umweltenergie, von Bergbau bis zum Waffenhandel. Durch die anonyme Struktur der Firmen bleibt das Volk im Unklaren über die Parallelwirtschaft, die es mächtigen Chinesen ermöglicht, ihr Geld außer Landes zu schaffen und ihre Spuren zu verwischen. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass Vermögen im Wert von bis zu vier Billionen Dollar seit dem Jahr 2000 die Volksrepublik verlassen haben (PDF).

Ohne Sondergenehmigung dürfen chinesische Staatsbürger pro Jahr eigentlich nur Devisen im Wert von etwa 50.000 Dollar ins Ausland bringen. Aber es gibt zahlreiche Tricks, diese Gesetze zu umgehen. Chinas Wirtschaftselite verschiebt so viel Geld auf die Britischen Jungferninseln, dass sich 2011 sogar die staatliche Bank of China beschwerte: Korrupte Manager würden Briefkastenfirmen wie "Handtaschen" benutzen, hieß es in einem Report. Oft wandert das Geld bald wieder zurück nach China - so erklärt sich, dass die Britischen Jungferninseln der größte ausländische Direktinvestor in China sind. Allein 2012 wurden von Firmen auf den Jungferninseln etwa 320 Milliarden Dollar nach China überwiesen - fast doppelt so viel, wie alle amerikanischen und japanischen Firmen zusammen in China investieren. Das meiste davon ist wohl chinesisches Geld - häufig aus fragwürdigen oder illegalen Geschäften, das - gewaschen - zurückkehrt.

Reichtum an sich ist natürlich auch in China nicht zwangsläufig kriminellen Ursprungs, sagt Minxin Pei, US-Politikwissenschaftler und einer der führenden Experten für das politische System Chinas. Aber, sagt Pei, solange es keine Transparenz gebe, erfahre das Volk nicht, "wie viel Reichtum von Regierungsbeamten mit illegalen Mitteln angehäuft wurde".

"Beweise, dass unsere Reporter jetzt eng überwacht werden"

Solche Enthüllungen soll es auch gar nicht geben, sie könnten das Volk aufwiegeln, befürchtet die Politik. Denn es gibt kaum ein Land, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich so groß ist wie in China. Das ist, was man sozialen Zündstoff nennt. Da kommen Berichte über den versteckten Reichtum der Familien hochrangiger Politiker ungelegen. Zumal es schon genug negative Schlagzeilen gibt über die Kinder der kommunistischen Kader und ihre Ferraris, ihre ausschweifenden Partys, aber auch über ihr arrogantes Gebaren, über Unfälle im Suff und Vergewaltigungen. Allerdings: Wer als chinesischer Journalist dazu recherchiert, setzt seine Freiheit aufs Spiel.

Im internationalen Rechercheteam des ICIJ waren außer Journalisten der Zeitung Ming Pao aus Hongkong, des taiwanesischen Magazins Commonwealth, des NDR und der Süddeutschen Zeitung auch Kollegen eines chinesischen Mediums, dessen Namen hier nicht genannt wird, um die Journalisten zu schützen. Dieses Medium zog seine Mitarbeiter nach einigen Monaten von dem Projekt ab. Chinesische Behörden hatten gewarnt: Nichts von diesem kompromittierenden Material dürfe gebracht werden. Es gebe "Beweise, dass unsere Reporter jetzt eng überwacht werden, und möglicherweise werden weitergehende Maßnahmen ergriffen", so begründete einer der Kollegen den Rückzug.

Westliche Journalisten stehen vor einem anderen, weit kleineren Risiko: staatliche Schikane, schlimmstenfalls Ausweisung. Reportern der New York Times und der Nachrichtenagentur Bloomberg wurde das übliche langfristige Visum verweigert, offenbar, weil sie kritisch über genau dieses Thema geschrieben hatten: den Reichtum der Prinzlinge und der Parteikader.

Bloomberg hatte als erstes Medium den finanziellen Hintergrund der Familie des aktuellen Staatsoberhaupts Xi Jinping recherchiert und war zu einem erstaunlichen Ergebnis gekommen: Xis Verwandte sollen Investitionen in Höhe von etwa 376 Millionen Dollar getätigt haben - vor allem in Immobilien und Firmenbeteiligungen. Die Investitionen begannen in den frühen Neunzigerjahren. Xis Vater Xi Zhongxun war gerade aus Regierungs- und Parteiämtern ausgeschieden, da kaufte Xis Schwester Qi Qiaoqiao Wohnungen, die, laut Bloomberg, Millionen kosteten: in Peking, in Shenzhen, in Hongkong.

In den Offshore-Leaks-Daten findet sich nun Qi Qiaoqiaos Ehemann Deng Jiagui, der Schwager von Xi Jinping. Er wird als Geschäftsführer und Anteilseigner einer Firma namens Excellence Effort Property Development Limited geführt, gegründet im März 2008 auf den Britischen Jungferninseln. Dem Schwager gehört die Firma nur zur Hälfte - die anderen Anteile sind im Besitz zweier Brüder, die durch Immobiliengeschäfte zu sehr viel Geld gekommen sind. Die beiden machten im Juli Schlagzeilen, als sie für zwei Milliarden Dollar den Zuschlag für zwei Grundstücke in Shenzhen erhielten - vom Staat.

Es gibt keine bekannte Verbindung von Immobilien, Luxusgütern oder Beteiligungen zu Staatschef Xi Jinping selbst. Andererseits gehen viele Politiker diesen Weg, wenn sie sich selbst bereichern wollen: Sie lassen den angeschleppten Besitz über ihre Verwandten laufen. Die Offshore-Leaks-Dokumente brachten im vergangenen Jahr etliche solcher Fälle ans Licht, so fanden sich die Töchter des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew ebenso in den Daten wie die Tochter des ehemaligen philippinischen Diktators Ferdinand Marcos und die Söhne des früheren kolumbianischen Staatschefs Álvaro Uribe.

Politiker von Bedeutung können meist selbst keine Offshore-Firmen gründen, fast alle Finanzdienstleister scheuen die Aufmerksamkeit der Geheimdienste und nehmen sogenannte "Peps" nicht als Kunden: "Politisch exponierte Personen".

In diese Kategorie fiele mit Sicherheit auch der chinesische Ex-Premierminister Wen Jiabao, der zehn Jahre lang zu den bestimmenden Figuren des Landes zählte und erst im vergangenen Jahr sein Amt aufgab. In den China-Daten finden sich sowohl Wens Sohn Wen Yunsong als auch sein Schwiegersohn Liu Chunhang, der Ehemann von Wens Tochter Wen Ruchun - als Geschäftsführer und Anteilseigner zweier Firmen auf den Britischen Jungferninseln.

Wen Jiabaos Kinder haben beide, typisch für die Nachkommen der Elitepolitiker, in Amerika studiert, Wen Ruchun lebte dort als "Lily Chang". Unter diesem Namen, das fand die New York Times heraus, arbeitete sie für ein Unternehmen namens Fullmark Consultants, das für Gebühren in Millionenhöhe westliche Firmen bei Deals unterstützte - Deals mit Staatsunternehmen. Wem die Firma gehörte? Laut New York Times vermutlich Lily Chang, aber eben nur vermutlich.

Aus den Offshore-Leaks-Unterlagen geht nun hervor: Fullmark Consultants wurde im August 2004 auf den Britischen Jungferninseln gegründet, und zwar von Wen Ruchuns Ehemann, Wen Jiabaos Schwiegersohn. Die Papiere zeigen außerdem, dass die Firma schließlich umgeschrieben wurde auf eine Geschäftsfrau namens Zhang Yuhong - eine Freundin der Familie, die nach Recherchen der New York Times wiederholt als eine Art Strohfrau des Wen-Clans diente, zum Beispiel bei Diamanten- oder Schmuckgeschäften. Als vom Finanzdienstleiter Portcullis später Kopien von Zhang Yuhongs Pass und Personalausweis gebraucht wurden, ging eine Mail in Kopie an: Lily Chang. Damit ist die Verbindung dokumentiert. Lily Chang alias Wen Ruchun spielt in dieser Firma eine wichtige Rolle.

Wen Jiabaos Sohn Yunsong wiederum errichtete - mithilfe der Schweizer Bank Credit Suisse - im September 2006 eine Firma namens Trendgold Consultants Limited. Wofür der Finanzfachmann Wen Yunsong die Firma nutzte, über die bislang nicht berichtet wurde? Die Süddeutsche Zeitung und ihre internationalen Recherchepartner haben, ihn seine Verwandten und auch die Verwandten Xi Jinpings mit der Recherche konfrontiert, ohne allerdings eine Antwort erhalten zu haben.

Als weitere namhafte Vertreter des "Roten Adels" tauchen in den Offshore-Leaks-Daten ein Neffe zweiten Grades von Ex-Staatschef Hu Jintao und der Schwiegersohn des legendären Deng Xiaoping auf, dazu Verwandte ehemaliger Staatsgründer der Volksrepublik, von Generälen, Kommandanten und weiteren Würdeträgern, zum Beispiel eines Vize-Präsidenten und eines Vorsitzenden des Volkskongresses. Auch Li Xiaolin, die Tochter von Ex-Premier Li Peng, ist in den Unterlagen zu finden. Li Xiaolin stuft Forbes als eine der 50 einflussreichsten Geschäftsfrauen der Welt ein, sie leitet eine Tochterfirma eines staatlichen Energieunternehmens. Ihr Vater amtierte, als das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens geschah, er gilt als einer "der Schlächter vom Tian'anmen". Über all die anonymen Briefkastenfirmen dieser erstaunlichen Reihe von Prinzlingen ist wenig zu erfahren, erst recht nicht von den Betroffenen.

Oft dienen derartige Konstrukte der illegalen Bereicherung. Bei solchen Vergehen droht in China sogar der Tod. Ein Unternehmer wurde 2007 wegen angeblicher Mehrwertsteuerfälschungen durch Tarnfirmen hingerichtet. Dem "Roten Adel" scheint ein solches Schicksal nicht zu drohen, er lebt geschützt in einer eigenen Welt.

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