Klar und unmissverständlich hatte er sich ausgedrückt, der chinesische Staatschef Xi Jinping. Er werde die Korruption und die Gier nach Luxus ausmerzen, sowohl bei den bestechlichen unteren Rängen, den "Fliegen", als auch weit oben im System, wo die Einflussreichen die Hand aufhalten, die "Tiger". Und Xi Jinping ließ Taten folgen: Auf Parteibanketten waren fortan teure Schnäpse verboten, außerdem gab es ein Werbeverbot für Luxusuhren. Vor allem aber traf die Kampagne in den vergangenen Monaten mehr als 100.000 Beamte, die entlassen wurden.
Doch was Xi Jinping nicht auf den Weg brachte, ist die längst auch in China verbreitete Idee der Transparenz - die Vorstellung, dass die wirklich Mächtigen offenlegen, welche Besitztümer sie und ihre nahen Verwandten angehäuft haben. Dann wäre bekannt geworden, dass ausgerechnet Xi Jinpings Schwager Mitbesitzer einer Firma ist, die auf den Britischen Jungferninseln angemeldet ist - einem Land, das vor allem als Steueroase bekannt ist.
Etliche nahe Verwandte der wichtigsten Politiker Chinas der vergangenen Jahre, das zeigen vertrauliche Unterlagen aus dem Offshore-Leaks-Bestand, stehen in Verbindung zu anonymen Offshore-Firmen auf den Britischen Jungferninseln und anderen Steueroasen. Außer dem Schwager von Staatschef Xi Jinping sind in den Dokumenten auch der Sohn und der Schwiegersohn des langjährigen Premierministers Wen Jiabao zu finden, zudem die Tochter des früheren Premierministers Li Peng, ein Neffe zweiten Grades von Ex-Staatschef Hu Jintao, ein Schwiegersohn des Reformers Deng Xiaoping und weitere Prinzlinge - so nennt man die engen Verwandten der chinesischen Machtelite.
In den Unterlagen sind auch etliche Mitglieder des Nationalen Volkskongresses gelistet, genauso einige der reichsten Männer und Frauen des Landes - unter ihnen mindestens 15 aus der chinesischen Milliardärsliste, die das US-Magazin Forbes herausgibt. Außerdem eine Menge Führungskräfte staatlicher Unternehmen, die in Korruptionsskandale verwickelt waren.
Die Dokumente - Verträge, E-Mails, Personalausweise und interne Akten - belegen, wie viel Wert und Mühe die Elite darauf legt, ihren Reichtum vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen. Die Unterlagen zeigen aber auch, dass westliche Firmen, darunter die Deutsche Bank, die UBS und Credit Suisse, dabei behilflich waren, diese Strukturen in Steueroasen zu errichten und instand zu halten.
Die Offshore-Leaks-Unterlagen zu China sind Teil jenes Datenbergs, den das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) in Washington vor gut zwei Jahren von einer anonymen Quelle zugespielt bekam. Eine erste Welle von Veröffentlichungen im April vergangenen Jahres - unter anderem auch in der Süddeutschen Zeitung und den Programmen des Norddeutschen Rundfunks - führte weltweit zu einer Reihe von Ermittlungen und zu Rücktritten hochrangiger Banker und Politiker. In einer zweiten Welle arbeitete sich in den vergangenen Monaten ein internationales Team von Journalisten in Hongkong durch die chinesischen Daten (Werkstattbericht hier) und stellte fest, dass das Ausmaß der Verstrickung mit der Offshore-Welt in China weit größer ist als beim ersten Anlauf - sowohl was die Zahlen angeht, mehr als 21.000 Offshore-Firmen stammen von Kunden aus der Volksrepublik und Hongkong, als auch was die Prominenz betrifft: Anders als in den meisten westlichen Ländern sind höchste Regierungskreise betroffen.
Die China-Daten stammen ebenfalls aus dem Inneren zweier auf Offshorefirmen spezialisierter Finanzdienstleister, Portcullis Trustnet aus Singapur und Commonwealth Trust Limited auf den Britischen Jungferninseln. Vor allem Portcullis hat sich auf den asiatischen Markt spezialisiert. In ihren Offshore-Konstrukten können Chinesen Vermögen lagern, von dem Geschäftspartner, der Staat und die Öffentlichkeit nichts erfahren. Und wenn doch, ist es vor jedem Zugriff sicher. Dafür sorgen die Gesetze der Steueroasen.
Unter den Tausenden Nutzern sind längst nicht nur Sprösslinge des "Roten Adels", sondern vor allem Geschäftsleute. Nahezu jeder Bereich der chinesischen Wirtschaft scheint in dieser Schattenwelt Fuß gefasst zu haben, von der Ölindustrie zur Umweltenergie, von Bergbau bis zum Waffenhandel. Durch die anonyme Struktur der Firmen bleibt das Volk im Unklaren über die Parallelwirtschaft, die es mächtigen Chinesen ermöglicht, ihr Geld außer Landes zu schaffen und ihre Spuren zu verwischen. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass Vermögen im Wert von bis zu vier Billionen Dollar seit dem Jahr 2000 die Volksrepublik verlassen haben (PDF).
Ohne Sondergenehmigung dürfen chinesische Staatsbürger pro Jahr eigentlich nur Devisen im Wert von etwa 50.000 Dollar ins Ausland bringen. Aber es gibt zahlreiche Tricks, diese Gesetze zu umgehen. Chinas Wirtschaftselite verschiebt so viel Geld auf die Britischen Jungferninseln, dass sich 2011 sogar die staatliche Bank of China beschwerte: Korrupte Manager würden Briefkastenfirmen wie "Handtaschen" benutzen, hieß es in einem Report. Oft wandert das Geld bald wieder zurück nach China - so erklärt sich, dass die Britischen Jungferninseln der größte ausländische Direktinvestor in China sind. Allein 2012 wurden von Firmen auf den Jungferninseln etwa 320 Milliarden Dollar nach China überwiesen - fast doppelt so viel, wie alle amerikanischen und japanischen Firmen zusammen in China investieren. Das meiste davon ist wohl chinesisches Geld - häufig aus fragwürdigen oder illegalen Geschäften, das - gewaschen - zurückkehrt.
Reichtum an sich ist natürlich auch in China nicht zwangsläufig kriminellen Ursprungs, sagt Minxin Pei, US-Politikwissenschaftler und einer der führenden Experten für das politische System Chinas. Aber, sagt Pei, solange es keine Transparenz gebe, erfahre das Volk nicht, "wie viel Reichtum von Regierungsbeamten mit illegalen Mitteln angehäuft wurde".