Kinderwerbung für Dickmacher:Özdemirs Kraftprobe

Kinderwerbung für Dickmacher: "Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Kindermarketing und gesundheitsschädlichen Produkten", sagt die AOK.

"Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Kindermarketing und gesundheitsschädlichen Produkten", sagt die AOK.

(Foto: Kwanchai Chai-udom/Mauritius/Alamy)

Schokomüsli, Chips, Gummibärchen - der Bundesernährungsminister will Werbung für ungesunde Nahrungsmittel beschränken. Das Vorhaben löst auf der Grünen Woche in Berlin eine hitzige Kontroverse aus.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Sie reden jetzt von einem Sturm, der aufzieht, oder von einer "Herkulesaufgabe" für Cem Özdemir. Ärger ist gewiss, wenn der Bundesernährungsminister demnächst Reklame für ungesundes Essen einschränkt, die sich an Kinder richtet. Werbung für überzuckerte Müslis, für salzig-fette Chips oder gesundheitsschädliche Energydrinks sollen aus einschlägigen Kanälen verschwinden. Die Bundesregierung will damit Gesundheitsschäden bekämpfen, Lebensmittelunternehmen wehren sich. Es bahnt sich eine Kraftprobe an, und am Donnerstag auf der Grünen Woche äußert sich auch Özdemir dazu, wenn auch in knappest möglicher Form.

Der Auftritt des grünen Ministers geht auf Betreiben der Verbraucherzentrale zurück. Sie erhöht beim Thema Kindermarketing den Druck und fordert im Bündnis mit Forschungsinstituten, zwischen sechs Uhr früh und 23 Uhr spät keine Werbung für ungesunde Lebensmittel mehr zu erlauben. Nicht nur aus dem Fernsehen, auch aus jugendaffinen Kanälen und sozialen Medien soll Reklame für gesundheitsschädliche Produkte verschwinden, ebenso von Plakaten in einem Radius von 100 Metern rund um Kindergärten und Schulen. "Es ist ganz klar, dass wir eine Regulierung brauchen, die sich an wissenschaftlichen Nährwertstandards orientieren", sagt die Vorständin der Verbraucherzentrale Ramona Pop am Donnerstag bei der Grünen Woche.

Der Staat habe eine "Schutzpflicht" gegenüber Kindern, sagt Renate Künast

Nur, wie Minister Özdemir das Anliegen umsetzen will, ist noch sein Geheimnis. "An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben", heißt es im Koalitionsvertrag. Ein Jahr lang wurden Verbraucherschützer vertröstet, nun soll der Gesetzentwurf kommen, "im ersten Quartal", wie Özdemir am Donnerstag verspricht. "Wir wissen wie groß der Einfluss der ersten 1000 Tage eines Menschen auf sein späteres Essverhalten ist." Gesundes Essen für Kinder sei auch eine Frage der Chancengleichheit.

Viel mehr allerdings verrät der Grünen-Politiker nicht über seine Werbeschranken, die keinesfalls "Verbot" heißen sollen. Das Wort gilt bei den Grünen als kontaminiert. "Es geht nicht um ein Werbeverbot, sondern um veränderte Werbung", sagt vor der Veranstaltung in Berlin die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast. "Wir müssen Kriterien entwickeln, in welchen Bereichen für Lebensmittel mit zu viel Zucker oder Salz nicht geworben werden darf." Die ehemalige Verbraucherschutzministerin kämpft seit Jahren gegen Kindermarketing. Jetzt treibt sie Parteifreund Özdemir an. Ein Kind sei ein zu schützendes Rechtssubjekt, so Künast. Es gehe auch nur um eine Einschränkung von Werbung. "Die Hersteller können sich dann ja entscheiden, auf diesen Kanälen für andere, gesunde Produkte zu werben."

Von solchen Ideen wollen viele Unternehmen nichts hören. "Grundsätzlich sind wir der Auffassung, dass es bei Übergewicht nicht hilft, Lebensmittel in gut und schlecht einzuteilen", teilt etwa der Sprecher der Südzucker AG mit. Der Konzern erwartet für das laufende Geschäftsjahr weiter steigende Umsätze von bis zu zehn Milliarden Euro - und sieht keinen Anlass, von zuckerhaltigen Lebensmitteln abzuraten. Für das Körpergewicht sei "die Kalorienbilanz" entscheidend, egal auf welche Nahrungsmittel sie zurückgehe.

Auch der Lebensmittelverband Deutschland, Europas größter Verband für Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel, winkt ab. "Es gibt keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass ein Werbeverbot dazu beitragen würde, dem Übergewicht von Kindern entgegenzuwirken", sagt eine Sprecherin. "Wir sehen da andere Instrumente." Bessere Sportangebote und die Botschaft, "dass man Süßigkeiten nur in Maßen essen soll", das helfe mehr. Im Übrigen setze man auf freiwillige Maßnahmen der Industrie.

15 Prozent der Kinder sind übergewichtig, sechs Prozent adipös

Auf der Grünen Woche betont auch die CDU-Abgeordnete Christina Stumpp, ein Zusammenhang von Werbung und Gesundheitsschäden sei nicht belegt. Da fährt ihr Berthold Koletzko sacht in die Parade, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. "Vielleicht kann ich da helfen, es gibt eine Fülle von wissenschaftlichen Untersuchungen dazu", sagt er. "Kinder werden durch Werbung krank".

Dafür erntet er Widerspruch von Bernd Nauen, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft. Die Werbeinvestitionen seien in der Pandemie gesunken, die Zahl der Übergewichtigen aber gestiegen, "da passen die Dinge einfach nicht zusammen". In Großbritannien sei Reklame für ungesunde Lebensmittel verboten, trotzdem seien dort viel mehr Kinder übergewichtig als in Deutschland. "Zynisch", findet Verbraucherschützerin Ramona Pop das. Man wolle ja wohl nicht warten, bis die Gesundheitslage hierzulande werde wie in Großbritannien. Der Ton wird scharf.

Auch jenseits der Grünen Woche treibt das Thema Forscher um. 15 Prozent der Kinder in Deutschland sind übergewichtig, sechs Prozent adipös, also extrem übergewichtig. "Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Kindermarketing und gesundheitsschädlichen Produkten", sagt Kai Kolpatzik, Leiter der Abteilung Prävention im AOK-Bundesverband. Allein Facebook habe vor der Pandemie binnen eines Jahres 10,6 Milliarden Posts mit Werbung für ungesunde Lebensmittel an Kinder von drei bis 13 Jahren platziert.

Die Spätfolgen bunt verpackter "Zuckerbomben" kosten Deutschland laut AOK 63 Milliarden Euro im Jahr. Denn viele, die heute zu schwer sind, bekommen später Diabetes, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. 102 000 vorzeitige Todesfälle im Jahr seien auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.

Im Institut für Ernährungsmedizin der Universität Lübeck warnt der Forscher Martin Smollich vor der Illusion, ohne verbindliche gesetzliche Maßnahmen weiterkommen zu wollen - oder nur mit Appellen an die Vernunft. "Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass wir bei der Vorbeugung von Adipositas wenig erreichen, wenn wir einzelne Individuen auffordern, sich gesünder zu ernähren. Die Wirkung ist wesentlich größer, wenn wir das Umfeld dieser Menschen strukturell verändern."

Gesetzliche Werbebeschränkungen hält Smollich für nötig, aber auch gesünderes Essen in Schulen oder Kantinen. "Im europäischen Vergleich gibt es nirgends so wenig wirksame Prävention ernährungsbedingter Krankheiten wie in Deutschland", sagt er. Aber die Dinge könnten sich ja ändern.

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