Kann man neben einem Job als Außenminister ein Jurastudium abschließen? Diese Frage muss sich Sebastian Kurz demnächst stellen. Er soll Anfang kommender Woche, knapp drei Monate nach den Parlamentswahlen, neuer österreichischer Außenminister werden - mit nur 27 Jahren.
Für Kurz wäre es der zweite große Karrieresprung innerhalb von knapp drei Jahren: Michael Spindelegger, Vizekanzler und Parteichef der konservativen ÖVP, gab Kurz im April 2011 den neu geschaffenen Posten des Integrationsstaatssekretärs im Innenministerium. Spott und Hohn prasselten daraufhin auf den feschen Jungspund ein, der noch mitten im Studium stand. Damals saß er erst seit einem halben Jahr im Wiener Gemeinderat, hatte keinerlei Expertise zum Thema Integration und war vor allem für seine Auftritte im Wiener Kommunalwahlkampf 2010 bekannt: Als Chef der Jungen ÖVP (der er bis heute ist) war er mit dem an die Parteifarbe Schwarz angelehnten Slogan "Schwarz macht geil" und einem "Geilomobil" genannten schwarzen SUV durch Wien getourt.
Doch innerhalb eines Jahres nach seinem Amtsantritt wich der allgemeine Spott erstauntem Respekt. Der Staatssekretär - groß, gertenschlank, zurückgegelte Haare - bemühte sich, sein Schnöselimage abzulegen und sich bodennah und unprätentiös zu geben. Ihm sei ein Büro im prunkvollen Teil des Innenministeriums angeboten worden, doch er habe sich bewusst für einen Raum mit Linoleumboden und Neonlampen in der "Beamtenburg" entschieden, lobte ihn sein Pressesprecher damals eher unsubtil.
Seit Kurz Integrationsstaatssekretär ist, sind ihm keine peinlichen Ausrutscher in die Jugendsprache mehr passiert. Er gibt sich betont seriös, spricht ruhig und gewählt und tritt meist im Anzug auf - wenn auch konsequent ohne Krawatte. Er wirkt einigermaßen authentisch (was allerdings im Vergleich zu vielen Parteikollegen keine Kunst ist) und gilt als guter Rhetoriker. Nicht, dass seine Sprache keine Worthülsen und hohlen Phrasen enthielte, aber er verwendet sie unauffälliger als die meisten Kollegen.
Wer in Österreich leben möchte, muss etwas leisten
Inhaltlich arbeitete Kurz sich schnell in sein Ressort ein. Er setzte sich für die einfachere Anerkennung ausländischer Qualifikationen ein, förderte Kurse und Beratungsstellen und rief Mentoringprogramme für Migranten ebenso ins Leben wie "Welcome Desks" für Neuzuwanderer, ein "Dialogforum Islam" und spezielle Sprachkurse für Imame. Selbst Migranten-NGOs und politische Gegner hielten ihm zugute, dass er den Integrationsdiskurs versachlicht und der ausländerfeindlichen FPÖ die Themenhoheit entrissen habe.
Aus kontroversen Diskussionen um Asyl und Zuwanderung hingegen hielt Kurz sich ebenso heraus wie aus der Rassismusbekämpfung. Seine Arbeit beginne erst, sobald jemand legal in Österreich sei und längerfristig bleiben wolle, argumentierte der Integrationsstaatssekretär. Was zuvor passiere, sei Sache der Innenministerin. Auch zum Ausländerrecht, das in Österreich über Jahre hinweg immer restriktiver geworden war, war von Kurz kein kritisches Wort zu hören. Wer in Österreich leben oder gar die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen wolle, müsse eben etwas leisten, findet Kurz.
"Leistung" ist das Lieblingswort der ÖVP und auch das von Sebastian Kurz. "Integration durch Leistung" lautet sein liebster Slogan. Auf Kritik daran antwortete er gern, er habe einen "weiten Leistungsbegriff": Es gehe nicht um Höchstleistungen, sondern darum, sich anzustrengen.
Kurz' Anstrengungen im Integrationsstaatssekretariat dürften sich jedenfalls gelohnt haben. Dass er nach der Wahl vom Staatssekretär zum mit Abstand jüngsten österreichischen Minister aller Zeiten aufsteigen würde, galt schon seit einiger Zeit als ausgemacht. Nicht nur, weil Kurz inzwischen als das größte politische Talent der ÖVP gilt und in jeder Umfrage unter den beliebtesten Regierungsmitgliedern ist, sondern auch, weil die alte und neue österreichische Regierung kaum etwas dringender braucht als ein unverbrauchtes Gesicht.
Für Kurz sollte ein "Zukunftsministerium" geschaffen werden
Bei den österreichischen Nationalratswahlen am 29. September hatten die sozialdemokratische SPÖ und die konservative ÖVP, die insgesamt 41 der letzten 68 Jahre zusammen regierten, ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten eingefahren. Hatten die beiden Parteien bis in die 80er Jahre hinein mit Mehrheiten jenseits der 90 Prozent regiert, kamen sie nun gemeinsam nur noch auf 50,8 Prozent.
Im Gegensatz zu den Deutschen verbinden die Österreicher mit der Großen Koalition in erster Linie Stillstand und gegenseitige Blockaden, doch das Wahlergebnis ließ keine andere Koalitionsform realistisch erscheinen: Rechnerisch möglich wären neben Varianten von Rot-Schwarz nur Dreierkoalitionen unter Einbeziehung der rechten FPÖ und/oder des skurril-populistischen 81-jährigen Milliardärs Frank Stronach gewesen. SPÖ und ÖVP entschlossen sich also, trotz des knappen Wahlergebnisses wieder zusammenzuarbeiten, und kündigten vollmundig einen "neuen Stil" an.
Übrig geblieben ist davon nicht viel mehr als eine größere Rochade unter den ÖVP-Ministern. Lange war davon die Rede, dass Kurz ein eigens für ihn geschaffenes "Zukunftsministerium" bekommen werde, ein Superministerium mit Zuständigkeit für Integration, Jugend, Familie und Umwelt. Als vor einigen Wochen erstmals das Gerücht aufkam, er sei als Außenminister im Gespräch, sorgte das wieder einmal für Staunen und höhnisches Gelächter - nicht nur wegen seines Alters, sondern auch wegen seiner nicht vorhandenen außenpolitischen Erfahrung. Doch nun hat sich ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger nach monatelangem Hin und Her offenbar doch noch entschlossen, vom Außen- ins Finanzministerium zu wechseln, und Kurz zu seinem Nachfolger gemacht.
Den Plan, sein Jurastudium in näherer Zukunft abzuschließen, scheint der zukünftige Außenminister übrigens aufgegeben zu haben: In seinen offiziellen Lebensläufen taucht das Studium nicht mehr auf.