Abbruch der Verhandlungen in Wien:Keine Zuckerl-Koalition für Österreich

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Sie habe nicht den Eindruck gehabt, dass ihre Verhandlungspartner sich in den entscheidenden Punkten bewegten, sagte die Chefin der liberalen Neos, Beate Meinl-Reisinger, am Freitag in Wien. (Foto: Max Slovenick/AFP)

Die Verhandlungen über ein Dreierbündnis zwischen ÖVP, SPÖ und Neos sind gescheitert, die Liberalen steigen aus. Die Parteien geben sich gegenseitig die Schuld – und die extreme Rechte ist die lachende Vierte.

Von Verena Mayer, Wien

Wer im Herbst die Koalitionsverhandlungen in Österreich verfolgte, der rieb sich die Augen. Da kamen drei Parteien zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und vor allem sehr unterschiedliche Erfahrungen mit der Macht mitbringen. Da ist die Kanzlerpartei ÖVP, die seit 2017 mit bequemen Mehrheiten regiert hat, erst zusammen mit der rechten FPÖ, dann mit den Grünen. Da ist die sozialdemokratische SPÖ, die im Lauf ihrer Geschichte lange Kanzlerpartei war, sich in den vergangenen Jahren in der Opposition aber intern aufgerieben hatte und zuletzt einen Ausweg aus der Misere suchte, indem sie kräftig nach links rückte.

Und da sind die Neos, eine kleine liberale Partei, die es erst seit 2012 gibt und die ihre Wahlerfolge (neun Prozent etwa bei der Nationalratswahl im September) vor allem der Tatsache verdankt, dass sie sich dem Kampf gegen politische Korruption und verkrustete Strukturen verschrieben hatte. Dinge, die zu einem nicht unwesentlichen Teil von den Kanzlerparteien einst und jetzt verursacht worden waren.

Eigentlich wollte man gerade nicht die Fehler der deutschen Ampel wiederholen

Diese drei Parteien also verhandelten seit Oktober über die Bildung einer Dreierkoalition, die einen Berg von Problemen hätte abtragen müssen. Eine herausfordernde wirtschaftliche Situation, ein Budgetdefizit, das so hoch ist, dass es den Haushaltsvorgaben der EU zuwiderläuft, und nicht zuletzt die Frage, in welchem Gefüge man sich den Krisen und Kriegen rundherum stellen will.

Wenig drang nach außen aus den Räumen des Wiener Parlaments und der prächtigen Palais, in denen Hunderte Verhandler in vielen Untergruppen zusammensaßen, was als gutes Zeichen gewertet wurde. Man hielt dicht und offenbar auch zusammen, es schien, als hätten die Akteure sich die Fehler der deutschen Ampel vorgenommen, um genau diese in der zukünftigen Dreierkoalition zu vermeiden.

Es müsse rigide gespart werden, hieß es in Österreich von Anfang an, und man könne politische Differenzen nicht dadurch ausgleichen, dass man Geld verteilt. Ein Lüfterl des Optimismus war in Wien zu spüren, die Medien hatten bereits einen Namen für die so ungewöhnliche wie neuartige politische Konstellation: „Zuckerl-Koalition“, wegen der knallbunten Parteifarben von ÖVP, SPÖ und Neos: Türkis, Rot und Rosa.

Doch am Freitag wurde klar, dass es diese Koalition nicht geben wird. Am Vormittag stellte sich Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger vor ein rosa Plakat mit der Aufschrift „Österreich erneuern“ und erklärte, dass ihre Partei für eine Austro-Ampel nicht mehr zu haben ist. Ihre Argumente erinnerten ein wenig an die von FDP-Chef Christian Lindner, als er das Zustandekommen einer Jamaika-Koalition 2017 mit dem Satz „Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren“ platzen ließ.

Die Chefin der Neos hatte zuletzt „nicht nur keine Fortschritte gesehen, sondern Rückschritte“

Meinl-Reisinger holte erst aus, um das Problemfeld abzuzirkeln, in dem sich Österreich aus Sicht der Neos befindet: festgefahrene Strukturen in der Verwaltung, im Bildungsbereich und im Rentensystem, die Notwendigkeit, „die Staatsfinanzen auf gesunde Beine zu stellen“, sowie einen allgemeinen Vertrauensverlust in das politische System, dem man durch eine Stärkung von Justiz und Parlament beikommen müsse.

Meinl-Reisinger, die bereits im Wahlkampf immer wieder klargemacht hatte, dass die Neos sich auch an einer Regierung beteiligen würden, sagte, sie habe „die Einladung“, im Rahmen einer Dreierkoalition „mit Energie und Ambition“ über Reformen nachzudenken, „gerne angenommen“ und wisse auch, dass es dabei Kompromisse geben müsse. Aber sie habe nicht den Eindruck gehabt, dass ihre Verhandlungspartner sich in den entscheidenden Punkten bewegten. Sie habe zuletzt „nicht nur keine Fortschritte gesehen, sondern Rückschritte“.

Damit ist in Österreich wieder alles auf Anfang, und es liegt an Bundespräsident Alexander Van der Bellen, jemanden zu beauftragen, der eine Regierung bilden könnte. Die Varianten, die gerade durchgespielt werden: ÖVP und SPÖ könnten eine auf Kante genähte Regierung in der Tradition vieler großer Koalitionen bilden, die Österreich schon erlebt hat. Wie Van der Bellen Freitagabend mitteilte, wollten die beiden Parteien nun alleine weiterverhandeln, er erwarte „rasche Gespräche“. Mittelfristig könnte es auch wieder ein Bündnis aus ÖVP und FPÖ geben, mit dem das Land ebenfalls Erfahrung hat. Oder man wählt gleich noch mal neu.

Die ideologischen Differenzen waren von Anfang an der Elefant im Raum

Vorher fragt man sich in Wien aber noch, woran es gelegen haben könnte. Die ideologischen Differenzen waren von Anfang an der Elefant im Raum, an dem sich alle versuchten vorbeizudrücken. Die ÖVP fährt unter Kanzler Karl Nehammer einen konservativen Kurs im Wortsinn: Sie will so viel wie möglich bewahren, wie es ist, ob es sich um das Rentensystem, Steuern, Klimaschutz oder den eigenen politischen Einfluss handelt.

Die SPÖ, die unter Parteichef Andreas Babler das schlechteste Wahlergebnis seit ihrem Bestehen eingefahren hatte, will zu alter Wirkmacht zurück und sich gleichzeitig als Vertreterin der Erniedrigten und Beleidigten positionieren. Indem man Geld von oben nach unten verteilt, etwa durch eine neu einzuführende Vermögen- oder Erbschaftsteuer. „Starke Schultern müssen mehr tragen“, war der Leitsatz, den Babler in den Verhandlungen durchzusetzen versuchte, während er gleichzeitig Querschüsse von Leuten aus der eigenen Partei abwehren musste, die in einer Dreierkoalition ein Himmelfahrtskommando für die SPÖ sahen.

Dazwischen saßen die Neos mit ihren liberalen Vorstellungen von Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft, die einen soliden Haushalt wollten und irgendwann wie die Controlling-Beauftragte einer Firma wirkten, die die Vorstandsetage daran erinnern muss, dass nun aber wirklich Sparen angesagt ist. Sie drangen damit nicht durch. Oder wie es Meinl-Reisinger ausdrückte: „Zu oft wurde ein mildes Lächeln uns gegenüber gezeigt.“

Die Schuldzuweisungen ließen dann nicht lange auf sich warten. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker machte nicht die Neos, sondern die SPÖ für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich. So seien in den vergangenen Tagen die „rückwärtsgerichteten Kräfte der SPÖ“ immer lauter geworden und hätten die Neos abgeschreckt. Das sieht die SPÖ anders, die den Neos vorwirft, sie hätten Maximalforderungen gestellt, die ihnen als kleinstem Partner nicht zustehen.

Und da ist noch die rechte bis rechtsextreme FPÖ. Ihr Chef Herbert Kickl hat die Wahl im September eigentlich gewonnen, bekam aber keinen Regierungsauftrag. Sie ist nun gewissermaßen die lachende Vierte und kann nach dem Scheitern der Regierungsbildung mit weiteren Zuwächsen rechnen. Umfragen sehen sie schon bei bis zu 40 Prozent.

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