Österreich:Willkommene Minderheit

FLÜCHTLINGE: KARDINAL SCHÖNBORN UND INNENMINISTERIN MIKL-LEITNER BESUCHEN FLÜCHTLINGE IN NICKELSDORF

Christlicher Beistand: Kardinal Christoph Schönborn zu Besuch bei Flüchtlingen.

(Foto: Roland Schlag/dpa)

Ihre Partei steht eigentlich für einen restriktiven Kurs in der Flüchtlingsfrage. Doch eine ÖVP-Abgeordnete hilft in Wien gestrandeten Iranern.

Von Peter Münch, Wien

"Das Warten bringt einen noch um", sagt Aileen, "und nicht arbeiten zu dürfen, das ist hart." Ihren Nachnamen will sie nicht nennen, "man kennt ja das iranische Regime". Aileen ist gestrandet in Wien, als Teil einer Gruppe von 108 Iranern. Die sollten eigentlich in Österreichs Hauptstadt nur die nötigen Papiere einsammeln für ihre versprochene Aufnahme in den USA. Doch dann sind sie in die Mühlen der Weltpolitik geraten und müssen auf Hilfe vor Ort hoffen - etwa von einer Abgeordneten der ÖVP, jener Partei, die sich doch eigentlich die Flüchtlingsabwehr ins Regierungsprogramm geschrieben hat.

Die chaldäische Christin Aileen, 40 Jahre alt, Psychologin, arbeitete in ihrer Kirchengemeinde nahe Teheran mit Behinderten und Drogenabhängigen, stellte ihr Haus für Gottesdienste zur Verfügung. Die Christen in der islamischen Republik müssen mit Verfolgung rechnen. Missionierung kann mit dem Tod bestraft werden, auch Konvertiten droht die Hinrichtung.

"Der Druck ist immer größer geworden", sagt Aileen. Besonders schwierig wurde es, als ihr Bruder und eine ihrer Schwestern Partner heirateten, die vor der Ehe zum Christentum übertraten. Den Ausweg bot das sogenannte Lautenberg-Programm, das bedrängten Minderheiten eine Übersiedelung in die USA ermöglicht. "Zehn Jahre lang haben wir auf die Aufnahme in dieses Programm gewartet", berichtet Aileen. Die Familie verkaufte Hab und Gut in Iran, und im Juni 2016 stieg Aileen mit ihrer Mutter und zwei Schwestern in ein Flugzeug nach Wien. Insgesamt hatten damals rund 900 Iraner grünes Licht für die Übersiedlung in die USA bekommen, neben Christen auch Mitglieder anderer Religionsgruppen wie Bahai oder Zoroastrier. Österreich ist in dem Verfahren als Transitland vorgesehen, weil die Amerikaner seit der Botschaftsbesetzung 1979 keine eigene diplomatische Vertretung mehr in Iran unterhalten. Normalerweise läuft die Ausstellung der Dokumente in Wien problemlos. In diesem Fall aber erhielten nur knapp 800 Iraner aus der Gruppe die nötigen Papiere. 108 blieben übrig - ihre Ablehnung wurde vage mit geänderten Einreisebestimmungen in die USA begründet.

Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn veröffentlichte im Frühjahr einen Spendenaufruf für die gestrandeten Iraner, ungefähr zur gleichen Zeit schaltete sich auch Gudrun Kugler ein. Die 41-Jährige sitzt seit der Wahl im Oktober 2017 für die ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz im Parlament. Als Abtreibungsgegnerin und Kämpferin gegen die Homo-Ehe musste sie sich im Wahlkampf als "Katholiban" schmähen lassen.

Auf die Frage, ob sie sich in gleicher Weise auch für muslimische Flüchtlinge einsetzen würde, antwortet sie: "Ja, selbstverständlich" - und verweist darauf, dass in der Gruppe der Iraner längst nicht alle Christen seien. Auch zur Flüchtlingspolitik ihrer Partei sieht sie bei ihrem Engagement keinen Widerspruch. "Man darf nicht Politik, die restriktiv wirkt, aber in Wirklichkeit die bestehenden Gesetze anwendet, gegen Menschlichkeit und Menschenwürde ausspielen", erklärt sie.

Gudrun Kugler setzt sich bei den Behörden von Wien bis Washington für die Iraner ein, hilft ihnen bei Wohnungssuche und Arztbesuchen. "Fast alle aus der Gruppe haben inzwischen einen Antrag auf Asyl in Österreich gestellt", sagt sie. Doch auf vier positive Asylbescheide folgten in den vergangenen Wochen drei Ablehnungen. Die will sie nun in der Berufung kippen. "Wenn jemand aus Iran zum Erzfeind USA auswandern will, wird er allein dadurch zu einem Flüchtling mit begründeter Angst vor Verfolgung", argumentiert sie.

Aileen und ihre Familie haben den Asylantrag im August 2017 gestellt. Im November bekamen sie einen Termin für eine Anhörung, der dann aber kurzfristig abgesagt wurde wegen einer Erkrankung des Dolmetschers. Seither haben sie nichts mehr gehört von den österreichischen Asylbehörden. Den Traum von einer Weiterreise in die USA hat Aileen längst aufgegeben: "Ich will in Österreich bleiben und hier als Psychologin arbeiten", sagt sie. "Am wichtigsten ist es mir, in einem sicheren Land zu leben."

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