Süddeutsche Zeitung

Österreich:Kostenexplosion

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Der Stromversorger Wien Energie hat massive Finanzprobleme, und in der österreichischen Hauptstadt fragt sich nicht nur die Opposition, wie so etwas passieren kann.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

In Wien geht es derzeit politisch hoch her. Grund dafür ist ein Streit darüber, ob die Stadt Wien sich angesichts der extrem hohen Energiepreise aus eigenem Verschulden in eine schwere Notlage gebracht sowie die Energieversorgung der Metropole gefährdet hat. Nachdem die Wiener Oppositionsparteien schon die ersten Vermisstenmeldungen veröffentlicht hatten, trat nach tagelangem Schweigen am Dienstag Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) vor die Presse, um einen mutmaßlichen Skandal zum Nicht-Ereignis zu erklären, über den seit dem vergangenen Samstag ganz Österreich spricht: Es gebe "nichts zu verbergen".

Am Wochenende war bekannt geworden, dass Wien Energie, Versorger für zwei Millionen Kunden, einen ungewöhnlich hohen finanziellen Engpass nicht aus eigener Kraft decken konnte - und kurzfristig beim Bund um Hilfe gebeten hatte. Angesichts der immensen Preissprünge am Gas- und Strommarkt hieß es aus dem Konzern, man brauche zur Absicherung von Energiekäufen an der Börse bis zu zwei Milliarden Euro. Daraus wurden dann im Laufe des Sonntags erst sechs, am Montag zeitweilig sogar zehn Milliarden Euro. Dafür wurde die Einrichtung eines finanziellen Schutzschildes gefordert, wie es ihn etwa in Deutschland oder der Schweiz längst gebe.

Nach einer ersten, überraschend einberufenen Krisensitzung am Sonntagnachmittag hatte Bundesfinanzminister Magnus Brunner (ÖVP) erkennbar irritiert davon gesprochen, dass man ungewöhnlich spät von der Stadt über die dramatische Lage informiert worden sei, die im schlimmsten Fall zur Zahlungsunfähigkeit des Wiener Energieversorgers geführt hätte - aber nach wie vor kaum Details kenne. Nach und nach stellte sich dann heraus, dass Wien Energie offenbar langfristige Termingeschäfte zur Preissicherung gemacht und sich dabei in den Augen vieler Experten in ein schwer kalkulierbares Risiko begeben habe. Weil die Strom- und Gaspreise zuletzt so immens gestiegen, die zur Preisabsicherung gedachten und im Prinzip völlig üblichen Termingeschäfte aber zu ausufernd und damit zu riskant gewesen seien, habe man die sogenannten Margins, parallel steigende Sicherheiten, nicht mehr zahlen können.

Vertreter von Wien Energie wie auch der Stadt wiesen diese Vorwürfe vehement zurück, Spekulationen habe es nicht gegeben. Weil Wien selbst, anders als andere Bundesländer, kaum selbst Strom produziere, sei man gezwungen, mehr Strom als andere an den Börsen zu kaufen. Nötig seien dafür aber nun mal also Kautionen, um die für die Zukunft abgeschlossenen Geschäfte zu sichern. Diese seien nun mit dem "irren Markt" explodiert.

Der Finanzbedarf geht offenbar über die Möglichkeiten der Hauptstadt weit hinaus

Zugleich wurde jedoch bekannt, dass Bürgermeister Ludwig als Vertreter der Stadt mit einer Art Notverordnung bereits 1,4 Milliarden an Sicherheiten in zwei Tranchen bereitgestellt hatte. Der aktuelle Finanzbedarf geht aber offenbar über die Möglichkeiten der Hauptstadt weit hinaus. Am Dienstag gab Finanzstadtrat Peter Hanke Entwarnung, wenngleich nur halb: Weil in den vergangenen Stunden die Preise an den internationalen Strombörsen wieder gefallen seien, brauche man aktuell doch keine Überbrückungshilfen, habe aber dennoch bei der Bundesfinanzierungsagentur einen Kredit über zwei Milliarden angefragt, falls sich bald schon wieder ein großes Finanzloch auftun solle.

Damit war dann die Verwirrung komplett - und eine strittige Frage unbeantwortet: Hat der Wiener Energieversorger mit einer Bilanzsumme von drei Milliarden Euro nun mit Termingeschäften fälschlicherweise auf fallende Strompreise gesetzt - und sich, angesichts des durch den russischen Angriffskrieg ausgelösten Preisanstiegs in eine Fast-Pleite hineinmanövriert? Wirtschaftsexperten äußerten sich kritisch, aber nicht alle wollen von unzulässiger Spekulation sprechen.

Sowohl von der schwarz-grünen Bundesregierung als auch der in Wien mitregierenden Neos und der oppositionellen FPÖ wurde jedoch massive Kritik laut - die Stadt habe zu spät zu wenig kommuniziert und fahrlässig agiert. Am Dienstagmittag teilte der Bundesrechnungshof mit, man werde die Sache prüfen. Bürgermeister Ludwig kündigte seinerseits eine Prüfung an. Der im Wahlkampf befindliche Tiroler ÖVP-Kandidat für das Amt des Landeshauptmanns, Anton Mattle, ließ umgehend wissen, sein Land werde jedenfalls nicht für die Fehler von Energieversorgern im Westen zahlen, und die grüne Bundesumweltministerin Leonore Gewessler teilte mit, andere österreichische Energieversorger hätten die Wiener Probleme nicht. Eine Lösung sei aber auf dem Weg.

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