Österreich:Wien und seine Rösser

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Wieso der Burg­garten der Stadt als Pferde­koppel her­halten muss.

Von Martin Zips

Wien und seine Pferde, das ist eine rätselhafte Geschichte. Einerseits verhasstes Nutztier, andererseits gepäppeltes Prestigeobjekt - so geht es den Wiener Rössern schon seit Jahrhunderten.

Da findet sich beispielsweise in der Hofburg die sogenannte "Spanische", die kaiserliche Hofreitschule mit ihren bereits im 16. Jahrhundert viel beachteten Kriegspferden. Wie stolz man den braven Gehorsam der habsburgischen Lipizzaner zuletzt den Gästen präsentierte! Und nun sollen die 72 unkastrierten Schulhengste im Burggarten gleich vier eigene Koppeln bekommen. Damit sie - gerade in Zeiten von Corona, also auch weniger öffentlicher Auftritte - ausreichend Auslauf erhalten.

Jenseits dicker Hofburgmauern indes verharren weiter die Wetter und Gästelaunen stets so unbarmherzig ausgesetzten Fiaker. Über diese rümpften die Wiener gerade noch empört die Nasen. Die Touristen, welche von früh bis spät durch die Stadt befördert wurden, könnten am Ende durch unappetitliche Äpfeleien gar noch vergrault werden, so fürchtete man.

Doch jetzt bleiben die Gäste aus. Weniger als ein Viertel der üblichen Hotelbuchungen verzeichnet die Stadt. Droschkenbesitzer erhalten Finanzspritzen, über die Ausscheidungen ihrer Tiere beklagt sich niemand mehr. Endlich hat wenigstens die Hofreitschule fürs Publikum wieder geöffnet - wenn auch mit deutlich weniger Sitzplatzangebot. Etwas Werbung, ausgelöst etwa durch die geplanten Lipizzaner-Koppeln inmitten der Stadt, sie tut not: Von 385 000 Hofreitschulen-Zuschauern im vergangenen Jahr waren 90 Prozent Touristen.

Merkwürdig bleibt es aber schon, das Verhältnis der Wiener zu ihren Rössern. Einerseits schaffte sich hier ein pferdenarrischer Innenminister noch vor Kurzem eine millionenteure polizeiliche Reiterstaffel an. Als dann aber statt Lipizza, der slowenischen Heimat der Lipizzaner, plötzlich "Ibiza" im Fokus stand, war sein Projekt perdu. Die Pferde landeten da und dort - kurzzeitig auch im Trainingszentrum der Hofreitschule. Andererseits stellte Sonja Klima, die Leiterin der Spanischen, gerade erst ihre barocke Winterreithalle einem bedeutenden Sponsor für Dreharbeiten zu einem Werbespot zur Verfügung. Für den Auspuffhersteller durfte ein junger Habsburger-Sprössling hier in seinem Sportautomobil vor den Kameras etwas Sand aufwirbeln. Die Umsatzeinbußen der Hofreitschule (minus 74 Prozent) dürften aber auch mit Stoßdämpfern nur schlecht abzufedern sein.

Und draußen? Da hatte es noch gerade leidenschaftliche Debatten darüber gegeben, ob die den Fiakern verordneten Pferde-Windeln den Tierkot tatsächlich ausreichend vom Kopfsteinpflaster fernhalten. Oder, ob Wien die Droschken nicht lieber gleich verbieten und durch pferdefreundliche "E-Fiaker" ersetzen solle.

Apropos Kopfsteinpflaster. Als Kaiser Franz Joseph I. im März 1907 in seiner Kutsche mal zum Hamerlingplatz in der Josefstadt unterwegs war, da rutschten seine Pferde ganz fürchterlich aus. Und zwar an einer Stelle, an der das alte Kopfsteinpflaster kurz zuvor durch automobilfreundlichen, aber pferdehuffeindlichen Teer ersetzt worden war. Benzin, das hatte damals nicht nur unter Josefstädtern einen ganz feinen Geruch.

© SZ vom 10.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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