MeinungÖsterreich:Warum eine U-Bahnfahrt für manche in Wien einer Weltreise gleicht

Kolumne von Gerhard Fischer

Lesezeit: 2 Min.

Blick nach Floridsdorf über ein Donauschiff zum Florido Tower, einem 113 Meter hohen Bürohochhaus.
Blick nach Floridsdorf über ein Donauschiff zum Florido Tower, einem 113 Meter hohen Bürohochhaus. (Foto: Foto: Imago/allOver)

Fremdes Floridsdorf: Warum manche Wiener eine Fahrt in ihren 21. Bezirk für eine Weltreise halten.

„Was?! Du fährst nach Transdanubien!“ Ich wusste erst gar nicht, was meine Bekannte, die mich erstaunt (oder erschrocken?) und belustigt (oder mitleidig?) anschaute, da meinte. Ich dachte gleich an Transsylvanien, klar, das lag nahe, aber ich hatte ihr ja nicht gesagt, dass ich nach Rumänien reisen werde. Beiläufig hatte ich erzählt, dass ich nach Floridsdorf fahren werde, um mir ein Fußballspiel anzuschauen.

Nach Floridsdorf kann man mit der U-Bahn fahren. Dennoch war meine Bekannte, eine Wienerin, noch nie im 21. Bezirk. „Und ich weiß von Floridsdorfern, die noch nie zu uns herübergekommen sind“, sagte sie. Herüber, das heißt: über die Donau. Floridsdorf und Donaustadt sind jene beiden Wiener Bezirke, die links der Donau liegen, und die deshalb von den, nun ja: Stammwienern scherzhaft (oder abwertend?) als Transdanubien bezeichnet werden. Manche Wiener halten eine U-Bahnfahrt dorthin für eine Weltreise.

Zwischen Wien und Floridsdorf gebe es eine Fremdheit und Abneigung (oder gar Feindschaft?), sagte meine Bekannte. Man möge sich nicht, man meide sich, man gönne sich nichts. Meine Neugier ist geweckt. Ich rede mit anderen Leuten, lese Artikel über Floridsdorf, schaue mir die Fernsehdoku „Erbe Österreich. Bezirksgeschichte Floridsdorf“ an und verstehe langsam, wovon meine Bekannte gesprochen hat.

Also: Floridsdorf ist ein stolzer Ort. Von hier kam Kaiser Leopold I. (der übrigens ein Frühchen war und in seinen ersten Lebenswochen in ausgeweideten Schweinen warm gehalten wurde); hier bekriegten die Einheimischen die von Nordosten einfallenden Feinde des Habsburgerreichs, bevor diese nach Wien kamen: die Hussiten, die Schweden, die Türken, die Ungarn. Und hier kämpften 1934 im sogenannten österreichischen Bürgerkrieg Floridsdorfer Arbeiter gegen die Schergen des austrofaschistischen Dollfuß-Regimes.

Floridsdorf hatte mal große Pläne, es wollte im 19. Jahrhundert Landeshauptstadt von Niederösterreich werden, die Floridsdorfer bauten dazu ein riesiges Rathaus und putzten sich auch sonst heraus. Aber dann wurde St. Pölten Landeshauptstadt und Floridsdorf 1904 Wiener Bezirk, dafür gab es politische und, wie immer, handfeste finanzielle Gründe. Floridsdorf brauchte Geld, und der Wiener Bürgermeister Karl Lueger, der gerade einen Kredit der Deutschen Bank erhalten hatte, leitete einen Teil der Marie weiter nach Transdanubien.

Aber das Verhältnis zwischen den Floridsdorfern, die eine Vase im Wappen tragen, und den Wienern, es blieb zerbrechlich. „Die Donau hat uns getrennt, und es ist in den Köpfen verankert, dass wir ein bisschen weit weg sind“, sagt eine Floridsdorfer Historikerin in der oben genannten Dokumentation. Es gab sogar einmal, so las ich in einem Artikel von 2016, ein kostenloses Bikesharing-Ticket in Wien – aber es galt nicht für Floridsdorf.

Am 27. April ist Wahl in Wien. Das Schöne (oder Lustige?) ist: Der amtierende – und wohl auch künftige – Bürgermeister von Wien, Michael Ludwig, ist ein Floridsdorfer.

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