Österreich:Wiedervereint im Exil

Vor einem Jahr starb in der Republika Srpska David Dragičević - ein brutaler, vom Staat vertuschter Mord, davon ist sein Vater überzeugt. Er hat den Sohn nun zu sich geholt, um ihn ein zweites Mal zu bestatten.

Von Peter Münch, Wien

Der Kaffee ist fast kalt, da sagt Davor Dragičević: "Was jetzt kommt, das wird der schwierigste Tag in meinem Leben." Die guten Tage sind für ihn sowieso vorbei, die schwarze Wolke hängt beständig über ihm, egal ob er in Bosnien ist oder im sicheren Exil. Doch an diesem Freitag muss Davor Dragičević seinen Sohn David zu Grabe tragen. Zum zweiten Mal.

Die Geschichte vom Tod des 21-jährigen Studenten aus Banja Luka, dieses Jungen mit den Rastalocken und dem lebensfrohen Lächeln, hat sich ausgewachsen zu einer Tragödie in mehreren Akten - und zum politischen Krimi mit offenem Ausgang. Vor einem Jahr, am 24. März 2018, war David nach sechstägiger Suche tot in seiner Heimatstadt in der bosnischen Serbenrepublik aufgefunden worden. Die Leiche lag in einem offenen Abwasserkanal, die Polizei verkündete schnell, David sei vollgepumpt mit Drogen erst in ein Haus eingebrochen und dann bei der Flucht gestürzt und ertrunken.

Der trauernde Vater wurde zum Anführer einer Bewegung, der sich Zehntausende anschlossen

Davor Dragičević glaubte nichts davon - weil es nicht zu David passte, und weil es nicht zur Leiche passte. Denn die wies Spuren schwerster Misshandlung auf, die furchtbaren Fotos davon kann er auf dem Notebook zeigen. Eigene Nachforschungen - die Auswertung von Überwachungskameras, eine Obduktion und eine Haaranalyse, die keinen Hinweis auf Drogen ergab - untermauerten seinen Verdacht: "David wurde ermordet", sagt er, "und die Täter sind Kriminelle, Polizisten und Politiker, die sich gegenseitig unterstützen."

Das hat er hinausgeschrien in die Welt und auf die Straßen Banja Lukas. Aus dem trauernden Vater, dem Kriegsveteran und Kellner, wurde der Anführer einer politischen Bewegung, die ganz Bosnien erfasst hat - und dann ein Gejagter. "Wir sind zum größten Problem für Milorad Dodik geworden", meint er.

Dodik ist der Anführer der bosnischen Serben, der selbstherrlich und autokratisch über sein Reich herrscht. Plötzlich aber musste er in Banja Luka erleben, wie sich die Anhänger der von Davor Dragičević gegründeten Bewegung "Gerechtigkeit für David" jeden Abend auf dem Hauptplatz trafen, eine Aufklärung der Todesumstände forderten und aufbegehrten gegen Korruption, Kriminalität und politische Gewalt in der Republika Srpska. Zehntausende haben sich dort über die Monate versammelt, der Facebook-Seite "Gerechtigkeit für David" folgen mehr als 300 000 Menschen. Ende Dezember, nach neun Monaten täglicher Proteste, gingen Dodiks Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen die Demonstranten vor, es gab Festnahmen. Davor Dragičević musste untertauchen wegen eines Haftbefehls, der ihm Aufstachelung und Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorwirft.

Österreich: Am Dienstag, einem grauen, kalten Tag in Banja Luka, ist Davids Leiche exhumiert worden. Der Vater hat per Videoschalte zugesehen, die Mutter war dort, hat den Deckel des Sargs geküsst, bevor er abtransportiert wurde.

Am Dienstag, einem grauen, kalten Tag in Banja Luka, ist Davids Leiche exhumiert worden. Der Vater hat per Videoschalte zugesehen, die Mutter war dort, hat den Deckel des Sargs geküsst, bevor er abtransportiert wurde.

(Foto: Radivoje Pavicic/AP)

"Ich habe gewusst, dass sie planen, mich zu töten", sagt er. Einer aus der Polizei habe ihn gewarnt. Seitdem hat er sich nur noch ganz sporadisch gemeldet, zum Beispiel mit einer Videobotschaft an seine Mitstreiter, in der er nichts verriet über seinen Aufenthaltsort, aber erklärte, er sei "in Sicherheit" und "unter guten Leuten".

Mit der SZ hat er sich nun in Wien getroffen. "An Davids Geburtstag, das ist der 31. Januar, habe ich Bosnien verlassen", erzählt er. An Rückkehr denkt er nicht. Er lernt Deutsch, er will, so weit es geht, zur Ruhe kommen - und vor allem hat er David nachgeholt nach Österreich. "Ich möchte nicht, dass er in diesem Mafiastaat begraben bleibt", sagt er. "Wenn er hier ist, kann ich in seiner Nähe sein. Und die Mörder können nicht mehr an sein Grab kommen und lachen, weil sie bis jetzt ungestraft davongekommen sind."

Dragičević will weiterkämpfen, er sagt: "Für mich kann es keinen Frieden mehr geben."

Am Dienstag haben sie Davids Leiche exhumiert. Es war ein grauer, kalter Tag in Banja Luka. Davor Dragičević hat in Wien in seinem Zimmer gesessen und die Exhumierung per Video auf der Facebook-Seite der Bewegung "Gerechtigkeit für David" verfolgt. Er hat keine Telefonanrufe angenommen, er wollte allein sein. Er hat gesehen, wie das Grab geöffnet wurde, wie Männer mit Schutzanzügen den Sarg nach oben holten, wie sie ihn öffneten und die sterblichen Überreste seines Sohns in einen neuen Sarg legten. Davids Mutter, seine geschiedene Frau, die schon seit Jahren in Österreich lebt, hat den Deckel des Sargs geküsst. Dann setzte sich der Leichenwagen in Bewegung. Nur weg aus Bosnien.

"Das ist jetzt der Tag, an dem ich abgeschlossen habe mit der Republika Srpska", sagt Davor Dragičević. Er hat seine Heimat verlassen, doch seinen Kampf will er weiterführen. Mit Hilfe der Politik rechnet er allerdings auch im Exil nicht. Von der EU fühlt er sich alleingelassen, ja verraten. Im Dezember, so erzählt er, habe er auf Einladung der EU-Vertretung in Bosnien insgesamt 21 EU-Botschafter getroffen. "Ich habe alle Beweise vorgelegt für den Mord an David", sagt er.

Österreich: Seine frühere Heimat nennt Davor Dragičević einen "Mafiastaat".

Seine frühere Heimat nennt Davor Dragičević einen "Mafiastaat".

(Foto: Darko Vojinovic/AP)

Als kurz darauf in Banja Luka die Demonstrationen gewaltsam niedergeschlagen und verboten wurden, gab es eine knappe Erklärung der EU: Die Ereignisse seien "ein alarmierendes Signal für den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Bosnien-Herzegowina". Konkrete Folgen aber hatte das nicht. "Die EU finanziert weiterhin die Mörder", schimpft Davor Dragičević. Er will jetzt "Druck von außen" machen. In Wien hat er bereits einen Verein gegründet: "Gerechtigkeit für David und alle Kinder Bosnien-Herzegowinas". Ableger in anderen europäischen Städten mit starker bosnischer Diaspora sollen folgen. Sein Leben besteht aus Trauer und Wut und dem Willen, endlich Gerechtigkeit zu schaffen. "Meine Kraft kommt von David", sagt er.

An diesem Freitag wird er sehr viel Kraft brauchen. Zur Mittagszeit ist die Beerdigung angesetzt auf dem Friedhof von Wiener Neustadt. Er hofft, dass viele Unterstützer kommen aus Bosnien, aus Deutschland, aus der Schweiz. Zum ersten Mal seit seiner Flucht wird er sich dort wieder öffentlich zeigen. "David wird hier seinen Frieden finden", sagt er. "Für mich kann es keinen Frieden mehr geben. Dazu ist zu viel passiert."

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