Süddeutsche Zeitung

Österreich:Widerstand gebrochen

Nach langem Hinhalten muss Österreichs rechtskonservative Regierung seit Jahresbeginn die Ehe für alle gewähren. Die ersten Paare nutzten das neue Recht bereits in der Neujahrsnacht.

Von Peter Münch, Wien

Es ist Regenbogenwetter in Wien. Ein stürmischer Wind jagt Wolken über den Himmel, mal blitzt die Sonne durch, mal sieht es schwer nach Schauern aus, und unten vor dem Kanzleramt am Ballhausplatz fallen fast die Fähnchen mit den bunten Farben um. Aufgestellt worden sind sie von der "SoHo", der Homosexuellen-Organisation der österreichischen Sozialdemokraten, deren Aktivistinnen und Aktivisten sich hier zu einer Festaktion versammelt haben. Das Motto: "Frohes neues Ja". Von einem "historischen Tag" spricht der SPÖ-Nationalratsabgeordnete und SoHo-Chef Mario Lindner. Denn seit dem Jahresbeginn gibt es in Österreich nach langem Ringen die Ehe für alle.

Dass sich ein überschaubares Grüppchen dazu vor dem Amtssitz des konservativen Kanzlers Sebastian Kurz versammelt, ist keinesfalls als Zeichen des Dankes zu verstehen. "Gleichstellungspolitik ist auch Politik", ruft Lindner an den Regierungschef gerichtet ins Mikrofon und erinnert an die fünf Musterprozesse, die geführt werden mussten, bevor auch in Österreich als nunmehr 16. Land in Europa Schwule und Lesben heiraten dürfen. "Es waren wieder mal Gerichte, und es war wieder nicht die Politik, die diesen Schritt ermöglicht hat", klagt Lindner.

ÖVP und FPÖ setzten die Gleichstellung auf Verlangen der Verfassungsrichter um - ungern

Eingetragene Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare sind in Österreich zwar bereits seit 2010 möglich. Der Weg zur Ehe aber musste erst von den Richtern des Verfassungsgerichtshofs geebnet werden. Sie hatten im Dezember 2017 entschieden, dass sich "die Unterscheidung in Ehe und eingetragene Partnerschaft heute nicht mehr aufrechterhalten lässt, ohne gleichgeschlechtliche Paare zu diskriminieren". Festgelegt wurde damals, dass spätestens zum 1. Januar 2019 das Verbot der Ehe für Gleichgeschlechtliche aufgehoben und die eingetragene Partnerschaft auch für heterosexuelle Paare geöffnet wird. De facto sind die Unterschiede zwischen den beiden Rechtsformen zwar nicht mehr allzu groß, aber es geht nicht zuletzt auch um die symbolische Bedeutung einer Gleichstellung.

In der vom Verfassungsgericht eingeräumten Übergangsfrist passierte jedoch politisch praktisch nichts. So gut es ging wurde das Thema von der neu ins Amt gekommenen Koalition aus ÖVP und FPÖ ignoriert. Beide Parteien hatten sich zuvor im Wahlkampf gegen die Ehe für alle ausgesprochen. Die FPÖ schimpfte auch noch nach dem Spruch der Verfassungsrichter, dass hier "Ungleiches gleich behandelt werde". Ähnliche Kritik kam von der katholischen Kirche. Ohne Aussicht auf eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Parlament führte jedoch letztlich auch für die rechtskonservative Regierung kein Weg an der Umsetzung vorbei.

In einer Art hinhaltendem Widerstand ließ die Regierung jedoch potenzielle Hochzeitspaare ebenso wie Standesbeamte bis zuletzt im Unklaren über die konkreten Bedingungen einer Ehe für alle. Erst kurz vor Weihnachten, an den letzten Arbeitstagen des Jahres 2018, schickte das von der FPÖ geführte Innenministerium dazu ein "Informationsschreiben" an die zuständigen Länderbehörden. Geklärt wurde darin unter anderem, dass vor einer Eheschließung die eingetragene Partnerschaft nicht eigens aufgelöst werden muss. Andernfalls hätte dies tatsächlich zu der paradoxen Situation führen können, dass die Heiratswilligen zunächst einmal hätten nachweisen müssen, dass ihre Partnerschaft unheilbar zerrüttet ist. Offengelassen aber wird vom Bundesinnenministerium zum Beispiel weiterhin, ob Paare, die bereits im Ausland geheiratet haben, dies in Österreich anerkennen lassen können. Mangels eindeutiger Gesetzeslage ist die Stadt Wien inzwischen in dieser Frage mit einer Anerkennung vorgeprescht.

Beim Festakt vor dem Wiener Kanzleramt gab es Sekt und zwei Sachertorten

An dieser lange gepflegten Unsicherheit mag es auch liegen, dass nun zum Stichtag eine eher geringe Nachfrage bei den Standesämtern vermeldet wurde. Gefeiert aber wurde zum Beispiel in Velden am Wörthersee bereits um 0.05 Uhr in der Neujahrsnacht, wo sich als Erste zwei Frauen das Jawort gaben. Der Standesbeamte bekannte hinterher, dass er für den Verzicht auf die eingeübte Trauungsformel mit dem "rechtmäßig angetrauten Ehemann" ein wenig habe trainieren müssen.

Das wird sich gewiss einspielen im Laufe der Zeit, doch für den SPÖ-Abgeordneten Mario Lindner ist immer noch vieles zu tun in Österreich bis zur vollen Gleichstellung. Vor allem klagt er über Diskriminierungen von Schwulen und Lesben im öffentlichen Bereich. Vor dem Kanzleramt aber soll dem eisigen Wind zum Trotz jetzt erst einmal gefeiert werden. Sekt gibt es zum Anstoßen auf das neue Ja und zwei Sachertorten, auf denen Rot auf Schwarz zu lesen ist: "Ehe für alle".

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SZ vom 03.01.2019
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