Österreich:Waidwunder Sündenbock

Wiens SPÖ-Granden haben nicht die Statur von Königsmördern, dennoch suchen sie nach Wegen, ihren Partei-und Regierungschef Gusenbauer zu ersetzen.

Michael Frank

"Es gibt keine Kanzlerdiskussion!" Minister der großen Koalition in Österreich und hohe Funktionäre der Sozialdemokraten (SPÖ) wiederholen diese Parole demonstrativ selbst dann, wenn sie gar nicht nach Befinden und Zukunft des Partei- und Regierungschefs Alfred Gusenbauer gefragt wurden. Das ist schon kein Dementi mehr, das ist eine Beschwörung.

Alfred Gusenbauer

Es gibt die Idee, Gusenbauer einen geschäftsführenden Vorsitzenden beizuordnen, der ihn dann als Kanzler beerben könnte.

(Foto: Foto: Reuters)

Seit die SPÖ bei der Landtagswahl in Tirol mehr als zwei Fünftel ihrer Stimmen eingebüßt hat, steht fest: Mit diesem Kanzler will niemand mehr in eine Wahl gehen. Wiens zwar einflusslosem, bei der Parteibasis aber hochpopulären Altbürgermeister Helmut Zilk blieb es vorbehalten, diese Wahrheit am Mittwoch offen auszusprechen.

Zilk-Nachfolger Michael Häupl, SPÖ-Vize und ihr wohl mächtigster Mann, "hört die Alarmglocken schrillen". Er poltert, wenn die Partei nicht noch in diesem Jahr ihre Positionen in der Wiener Koalition durchsetzen könne - bei Steuerpolitik, Gesundheitsreform und Doppelhaushalt - dann sei kein Bleiben in dem Regierungsbündnis. Was wie eine Drohung an den Partner, die christsoziale Volkspartei (ÖVP) klingt, ist in Wahrheit die kaschierte Frage, wer Schuld habe, dass sich die SPÖ in dem von beiden Seiten ungeliebten Bündnis nicht behaupten könne.

Neuordnung der Spitze unausweichlich

Den Chef aber abzuschießen, das widerspricht aller politischen Tradition und Mentalität der Sozialdemokraten. Dennoch scheint eine Neuformierung der Spitze schon lange vor der Nationalratswahl 2010 unausweichlich. Der Vorschlag, Gusenbauer einen geschäftsführenden Vorsitzenden beizuordnen, gewinnt immer mehr an Kontur. Dieses Amt könnte seinem Inhaber wiederum das Format eines künftigen Kanzlers verleihen.

Die durchwegs kritischen Landeshauptleute und -vorsitzenden der SPÖ haben alle - außer dem wortgewaltigen Franz Voves aus der Steiermark - nicht die Statur von Königsmördern und Diadochen. Wiens Infrastrukturminister Werner Faymann, ein alerter Leisetreter, hätte im Sinne der Wiener Konsenspolitik viele Gönner, ist aber in letzter Zeit doch zu still geblieben.

In der verstörten Parteibasis setzt man immer mehr Hoffnungen auf Sozialminister Erwin Buchinger. Die SPÖ wurde in Tirol nämlich von einem Populisten überrannt, der trotz rechter Grundgesinnung Dinge fordert wie die Linkspartei in Deutschland. Nun hält man es in der SPÖ für nötig, das soziale Profil der Partei neu zu schärfen.

Währenddessen drohen der Koalitionspartner ÖVP und ihr Chef, Vizekanzler Wilhelm Molterer, wenn Gusenbauer abgelöst werde, müsse "alles neu bewertet werden". Der Wink mit dem Ende der Koalition soll Gusenbauer stützen. Aber nicht im Sinne eines Freundschaftsdienstes für den waidwunden Partner. Die ÖVP will sich den idealen Pappkameraden nicht nehmen lassen, der sich - wiewohl Bundeskanzler - so schön als "Umfaller" vorführen lässt, der, mit dem Nimbus des Verlierers behaftet, die ebenso angeschlagene ÖVP relativ gut aussehen lässt.

Die aktuelle Krise zu meistern, sei Gusenbauers letzte Chance, kommentieren Österreichs Tageszeitungen. Eine Idee, wie das gehen könnte, hat in Wien aber derzeit niemand. Die Koalition hält nur noch die gemeinsame Angst zusammen, bei vorgezogenen Neuwahlen weitere Einbußen zu erleiden. Nur gut, dass derzeit in Wien eigentlich König Fußball regiert: Noch jede Regierung hat sich im Glanz einer Meisterschaft sonnen und davon profitieren können.

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