Süddeutsche Zeitung

Österreich vor Bundespräsidentenwahl:TV-Duell in Österreich: Alles auf Anfang

  • In Österreich hat das erste von vier TV-Duellen vor der erneuten Stichwahl um das Bundespräsidentenamt stattgefunden.
  • Die meisten Österreicher sind genervt von der erfolgreichen Wahlanfechtung der FPÖ - und dass immer noch offen ist, wer das nächste Staatsoberhaupt wird.
  • Die Umfragen sagen erneut ein äußerst knappes Wahlergebnis voraus.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

"Spannend" war wohl das meistgebrauchte Wort von Wolfgang Fellner, Herausgeber der Gratiszeitung Österreich und Betreiber des neuen Nachrichtensenders "oe24": Spannend das erste von vier Duellen vor der erneuten Stichwahl um das Bundespräsidentenamt in Österreich. Spannend die Fragen der Zuschauer, die Fellner vorlas, spannend die Antworten der spannenden Kandidaten, und spannend auch hinterher in einer Analystenrunde, moderiert von einem Fellner-Sohn, die Einschätzungen, wie toll diese spannende Sendung war.

Tatsächlich gab es zwar im Ton und in der Konfrontation einige Überraschungen, in der Sache und im Detail aber wenig Neues. Das verwundert kaum: Der Wahlkampf dauert mittlerweile fast elf Monate, die Luft ist raus. Die meisten Österreicher sind genervt von der erfolgreichen Wahlanfechtung der FPÖ nach der verlorenen ersten Stichwahl im Mai und einem verschobenen zweiten Versuch im Oktober - und dass sie jetzt immer noch mit der Frage belästigt werden, wer der nächste Präsident werden soll.

Der ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen, der als unabhängiger Kandidat antritt, war ja bereits gewählt, Konkurrent und FPÖ-Politiker Norbert Hofer unterlegen - aber nun, mit der Neuauflage, steht alles wieder auf Anfang. Die Umfragen sagen erneut ein äußerst knappes Wahlergebnis voraus, also kommt es auf die Mobilisierung jedes geh-, denk- und wahlfähigen Österreichers sowie jeder geh-, denk- und wahlfähigen Österreicherin an. Daher mussten und müssen die Gegner jedes der vier Fernsehduelle (das letzte strahlt der ORF wenige Tage vor dem Wahltermin am 4. Dezember aus) bitterernst nehmen.

Moderator Fellner gab sich keine Blöße

Dass es ausgerechnet der Nachrichtensender "oe24" des aggressiven Boulevard-Journalisten Wolfgang Fellner sein würde, der in die erste Runde geht, war dabei durchaus pikant. Sein Sender hatte sich erst unlängst mit einer liebedienerischen Homestory bei den Hofers an die rechten Wähler herangewanzt. Der Herausgeber des Falter, Armin Thurnher, hat einst den mittlerweile legendären Begriff des "Fellnerismus" geprägt und damit unseriösen Journalismus und eine Kommerzialisierung von Inhalten gemeint.

Aber man muss Fellner in Schutz nehmen: Bei diesem TV-Duell hat er beiden viel Raum gelassen, Hofer durchaus kritisch befragt und sich nicht zu einem Steigbügelhalter der Freiheitlichen degradieren lassen. Dadurch bekam Van der Bellen die Chance, zu argumentieren und auch mal auszuteilen, was der Debatte überraschend gut tat.

Warum das überraschend ist? Der Rechtspopulist Hofer ist ein versierter Diskutant; er hat selbst als Rhetoriktrainer gearbeitet und alle NLP-Techniken (mehr über "Neurolinguistisches Programmieren" hier) inhaliert. Er kennt sich mit Tricks aus, wie man den Gegner verunsichert, aus der Ruhe bringt, ablenkt, irremacht. Vor allem in einem früheren TV-Duell der beiden Kontrahenten, das ohne Moderator auf dem Privatsender ATV stattfand und allgemein als komplett verunglückt galt, führte Hofer den Kontrahenten Van der Bellen regelrecht vor.

Aber nicht nur dort: Die Wochenzeitung Falter hat in seiner aktuellen Ausgabe (und mithilfe von Videos) analysiert, wie der 3. Nationalratspräsident und Vizechef der FPÖ vorgeht: Er wird persönlich, er benutzt immer wieder die gleichen Muster, er stellt Gegenfragen, er irritiert. Nur: Van der Bellen hat gelernt. Auf "oe24" ließ er die üblichen Angriffe (Freimaurer, Lügner, vergesslicher Opa, Kandidat der Hautevolee, unterstützt von den Kommunisten, selbst Kommunist) an sich abtropfen. Der 72-Jährige winkte mal ab, sagte mal, das sei ihm jetzt zu blöd, machte selbst Scherze darüber, dass einiges schon 50 Jahre her sei. Das Gift wirkte nicht.

Van der Bellen pocht auf Menschlichkeit

Hofer war gezwungen, sachlicher zu werden, zu argumentieren, zu erklären - und siehe da: Er wurde blasser und Van der Bellen entschiedener. Es gab bekannte Gegensätze, aber wen stört es? Hofer will den Öxit, wenn die Türkei der EU beitritt oder die EU ein Zentralstaat will, Van der Bellen nicht. Hofer will eine Volksabstimmung über das Ceta-Freihandelsabkommen mit Kanada, Van der Bellen nicht. Hofer würde die Regierung entlassen, wenn sie wieder einen "unkontrollierten Flüchtlingsstrom" ins Land lässt.

Van der Bellen fand die Entscheidung richtig, die Grenzen im Herbst 2015 in einer Notlage zu öffnen. Hofer will Flüchtlinge an der afrikanischen Küste in Lagern auf einen Asylentscheid warten lassen, Van der Bellen pocht auf Menschlichkeit, eine Einzelfallprüfung und sagt immer noch: Wir schaffen das. Hofer ist gegen die Homoehe, Van der Bellen hat nichts dagegen. Hofer würde bei der Vereidigung auf die Bibel schwören, Van der Bellen nicht.

Die Zuschauer mochten sich wieder einmal wundern, was viele der Themen eigentlich mit dem Amt eines Bundespräsidenten zu tun haben, selbst wenn der in Österreich mächtiger ist als etwa in Deutschland. Aber: Sie konnten sich ein Bild machen. Vielleicht hat sich Hofer die NLP-Nummer nicht mehr getraut, weil sie ihm um die Ohren geflogen wäre. Vielleicht hat Van der Bellen geübt. Immerhin, es war so etwas wie ein Gespräch.

Linktipp: Die Video-Analyse des Falter über die Rhetorik von Norbert Hofer ist hier zu finden.

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