MeinungÖsterreich:Blitzradikalisierung von Attentätern in sozialen Netzwerken

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Kolumne von Verena Mayer

Lesezeit: 2 Min.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) fordert eine „anlasslose Massenüberwachung“. Syrische oder afghanische Asylbewerber sollen etwa in privaten Unterkünften kontrolliert werden, ohne dass gegen sie ein konkreter Verdacht vorliegt.
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) fordert eine „anlasslose Massenüberwachung“. Syrische oder afghanische Asylbewerber sollen etwa in privaten Unterkünften kontrolliert werden, ohne dass gegen sie ein konkreter Verdacht vorliegt. (Foto: Foto: Borut Zivulovic/REUTERS)

Der Anschlag in Villach zeigt: Auch in Österreich radikalisieren sich junge Menschen in kürzester Zeit – über die sozialen Netzwerke.

Villach, vergangenen Samstag. Ein 23-Jähriger läuft durch die Innenstadt und sticht wahllos mit einem Messer auf Passanten ein. Ein Teenager stirbt, zwei Jugendliche werden schwerst verletzt. Wien, im August 2024. Ein 19-Jähriger soll kurz davor sein, sein Auto in die Menge der Fans von Taylor Swift zu lenken, die im Ernst-Happel-Stadion ein Konzert geben will. Er wird rechtzeitig festgenommen, die Konzerte von Swift in Österreich werden vorsorglich abgesagt. Wien, Anfang Februar 2025. In der Wohnung eines 14-Jährigen findet die Polizei Messer und Gegenstände, um eine Rohrbombe zu bauen. Der Jugendliche soll einen Anschlag auf den Wiener Westbahnhof geplant haben.

Es sind die jüngsten Fälle von mutmaßlich islamistischem Terror in Österreich. Sie unterscheiden sich nur dadurch, dass zwei davon glimpflich endeten. Ansonsten ist das Muster immer dasselbe: Jugendliche oder junge Männer sympathisieren mit radikalen Islamisten oder sogar der Terrormiliz Islamischer Staat und beschließen offenbar irgendwann, in deren Namen einen Anschlag zu begehen.

Für Sicherheitsexperten wie Peter R. Neumann vom King’s College in London kommen diese Anschläge nicht überraschend. Neumann beobachtet schon seit einiger Zeit eine neue Welle islamistischen Terrors in Europa. Sie hat ihre Ursache vor allem darin, dass sich Jugendliche innerhalb kürzester Zeit radikalisieren können – und zwar über die sozialen Netzwerke. Ein Attentäter wie Anis Amri besuchte über Monate einen radikalen Moschee-Verein, um 2016 seinen Plan für den Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt zu fassen. Die jungen Islamisten von heute benötigen nur eine App wie Tiktok auf ihrem Handy. Dort spülen ihnen die Algorithmen nicht nur islamistischen Content in Dauerschleife in ihre Timeline, die Jugendlichen finden auch die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Eine solche Blitzradikalisierung hatten offenbar sowohl der Attentäter von Villach als auch der 14-jährige Wiener in seinem Kinderzimmer durchlaufen.

So bekannt das Phänomen inzwischen ist, so schwer tut sich die Politik damit. In Deutschland reagierten Politiker auf die Anschläge auf eine Kitagruppe in Aschaffenburg und eine Gewerkschaftsdemonstration in München, indem sie mehr Abschiebungen oder sogar ein Einreiseverbot forderten. Beides ist nicht nur schwierig bis gar nicht umzusetzen, es würde solche Taten auch nicht verhindern. Der Attentäter von Villach, ein syrischer Staatsbürger, hat etwa einen gültigen Aufenthaltsstatus, der Junge aus Wien einen österreichischen Pass.

Ähnlich hilflos wirkt die Idee des österreichischen Innenministers Gerhard Karner (ÖVP). Er will eine „anlasslose Massenüberwachung“ durchführen. Syrische oder afghanische Asylbewerber sollen dann etwa in privaten Unterkünften kontrolliert werden, ohne dass gegen sie ein konkreter Verdacht vorliegt. Das dürfte nicht nur geltendem Recht widersprechen, sondern auch die Ressourcen der Sicherheitsbehörden auf kontraproduktive Weise binden. Denn diese, so wird es Sicherheitsexperte Neumann nicht müde zu betonen, würden vor allem dort gebraucht, wo tatsächlich sehr viele Islamisten unterwegs sind. Im virtuellen Raum nämlich, bei der Beobachtung und Überwachung der Social-Media-Plattformen.

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SZ PlusVon Verena Mayer

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