Österreich:"Verhandlungen bleiben ein Wagnis"

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Trotz 80 Prozent Dissens in den Wahlprogrammen: Sebastian Kurz (l.) und Werner Kogler verhandeln über eine Koalition zwischen ÖVP und Grünen. (Foto: Joe Klamar/AFP)

Grünen-Chef Werner Kogler über die Koalitionsgespräche mit der ÖVP unter Sebastian Kurz, die Bedeutung von Kompromissen und mögliche Lehren für Deutschland.

Interview von Peter Münch

Der österreichische Grünen-Chef Werner Kogler, 58, hat schon fast alle Höhen und Tiefen erlebt in der Politik: In den Achtzigerjahren zählte der studierte Ökonom aus der Steiermark zu den Gründungsmitgliedern der Umweltpartei. 1999 wurde er zum ersten Mal als Abgeordneter in den Wiener Nationalrat gewählt, bei der Wahl 2017 musste er erleben, dass die Grünen an der Vier-Prozent-Hürde scheiterten.

Auch über eine Regierungsbeteiligung hat er schon einmal verhandelt: 2003, als der erste Anlauf zu einer schwarz-grünen Koalition scheiterte. Heute verhandelt er mit reichlich Selbstbewusstsein und knapp 14 Prozent der Wählerstimmen im Rücken wieder mit der Volkspartei über ein Regierungsbündnis. Bei einem erfolgreichen Abschluss würde gleich zweifach Neuland betreten: Österreich bekäme erstmals eine Bundesregierung aus ÖVP und Grünen. Und die Grünen würden direkt von der außerparlamentarischen Opposition in die Ministerämter gelangen.

SZ: Vor der Wahl haben Sie die ÖVP eine "türkise Jungschnöseltruppe" genannt und Sebastian Kurz einen "Schnösel-Machiavellisten". Wie verhandelt es sich denn so mit denen?

Werner Kogler: Die Herleitung des Begriffes habe ich aus der alten ÖVP selbst übernommen. Da gab es anfangs viele Vorbehalte gegen die neue Führungsgruppe. Ich habe das dann übersetzt und mir zu eigen gemacht. Ich muss aber das Bild revidieren: Die sind geradeaus, fit und geerdet in der Umgebung des Sebastian Kurz.

Und machiavellistisch?

Machiavellismus ist ja legitim in der Politik.

Die Chemie stimmt also?

Ja.

Und die Inhalte?

Es war von Anfang klar, dass unsere bei-den Parteien in vielen Bereichen die größte Distanz zueinander haben. Die Verhandlungen bleiben also ein Wagnis, aber es lohnt, das zu versuchen.

Wagen Sie nach zwei Monaten der Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen eine Prognose, wie groß die Chancen auf eine Regierungsbildung sind?

Nein. Wir reden immer noch ergebnisoffen. Als 2017 ÖVP und FPÖ verhandelt haben, gab es 80 Prozent Übereinstimmung in den Wahlprogrammen. Wir haben 80 Prozent Dissens. Aber das wechselseitige Bemühen ist stark spürbar. Klar ist jedoch, dass die Verhandlungen deshalb noch Zeit brauchen.

An welchen Punkten hakt es am meisten?

Uns geht es vor allem um den Klimaschutz und auch die wirtschaftlichen Chancen, die damit verbunden sind durch Innovation.

Das klingt aber jetzt schon halb nach ÖVP.

Da gibt es einen unterschiedlichen Begriff von Marktwirtschaft. Der Markt wird nur etwas ausrichten, wenn es mehr Kostenwahrheit und verbindliche Zielvorgaben gibt. Ohne Umsteuerung in der Wirtschaft, etwa auch im Steuersystem, wird es nicht gehen.

Wenn es am Ende zu Türkis-Grün kommt, wird das dann ein neues, anderes Öster-reich sein?

Ja, mit Sicherheit. In der ganzen Frage von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Medienpolitik und Transparenz gehen wir Grünen natürlich ganz anders zu Werke als die FPÖ. Die ÖVP steht Mitte rechts - und da macht es einen Riesenunterschied, ob der Regierungskurs von grüner Seite mitbestimmt wird oder ob die ÖVP von einer rechtsextremen Partei weiter dorthin verschleppt wird. Anfällig für diese Versuche war sie ja, das hat sie bewiesen.

Eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Regierung ist immer noch nicht ausgeschlossen. Erwächst daraus auch ein Druck auf die Grünen, mit der Volkspartei zum Erfolg zu kommen?

Das ist mit zu bewerten, da sollten wir uns Max Weber und die Verantwortungsethik in Erinnerung rufen. Ich versuche deshalb, möglichst viele darauf einzustimmen, dass man nicht alles durchsetzen kann. Man soll in der Demokratie den Kompromiss nicht schlechtreden. Und vieles wäre besser als bei der Alternative ÖVP/FPÖ.

Wie würde sich Österreich in einer ÖVP-Grünen-Regierung in Europa präsentieren und positionieren?

Die ÖVP war in den vergangenen zwei Jahren schon ein wenig angekränkelt von dieser FPÖ-Europa-Skepsis. Wir Grünen würden jedenfalls danach trachten, dass mehr vergemeinschaftet wird: mehr gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, und dass man der Union mehr Macht gibt bei der Besteuerung der großen Konzerne. Ich hoffe doch, dass die ÖVP auch auf diesem Weg ist.

Tauschen Sie sich mit den deutschen Grünen aus, für die das ja auch interessant sein könnte, wie solche Regierungsverhandlungen mit einer konservativen Partei laufen?

Ja, wir tauschen uns aus, im Wahlkampf war das mit Robert Habeck ganz intensiv, und wir werden auch jetzt natürlich unsere Erfahrungen weitergeben. Erst vor ein paar Tagen habe ich ein ausführliches Gespräch mit der Co-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt hier in Wien gehabt.

Könnte das, was in Österreich passiert, auch ein Fingerzeig für Deutschland sein?

Das muss man in Deutschland entscheiden. Ich glaube, dass CDU und CSU einfachere Verhandlungspartner sind als die türkise ÖVP, die ja Farbe aufgenommen hat von der blauen FPÖ. Wenn also hier was gelingen kann, dann dort erst recht.

© SZ vom 07.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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