Österreich:Vergesslichkeit ist nicht strafbar

Fortsetzung Ibiza-Untersuchungsausschuss

Wolfgang Sobotka ist nicht nur Vorsitzender des Ibiza-Untersuchuchngsausschusses, sondern auch Zeuge - und erinnert sich nicht an alles.

(Foto: Georg Hochmuth/dpa)

Im Ibiza-Untersuchungsausschuss häufen sich Falschaussagen und Gedächtnislücken. Ermittlungen werden eingestellt oder gar nicht erst aufgenommen.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Ein Teil der politischen Auseinandersetzung in Österreich ist mittlerweile in parlamentarische Untersuchungsausschüsse verlagert worden, die nicht öffentlich sind und deren brisante Ergebnisse schnell mal untergehen. Dort scheint eine gewisse Verlotterung der Sitten eingesetzt zu haben. Auskunftspersonen müssen die Wahrheit sagen, so sieht es das Gesetz vor. Sagen sie die Unwahrheit, muss das allerdings nachweislich "schuldhaft" geschehen, wie der renommierte Verfassungsrechtler Heinz Mayer der SZ am Telefon erläutert; das nennt man dann eine "Falschaussage". Und von denen gibt es etliche.

Im laufenden Ausschuss über die mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Regierung, vulgo Ibiza-Ausschuss, häuften sich zuletzt eher massive Erinnerungslücken. Finanzminister Gernot Blümel liegt mit 86 fehlenden Erinnerungen ganz weit vorn, Bernhard Bonelli, Kanzleramtschef von Sebastian Kurz, konnte am vergangenen Mittwoch mit 70 Gedächtnisausfällen aufwarten, der Ausschussvorsitzende Wolfgang Sobotka, der auch als Zeuge auftreten musste, erinnerte sich nicht mehr, dass er Ex-Wirecard-Finanzvorstand Jan Marsalek begegnet war.

Und jener Kanzleramtsmitarbeiter, der kurz nach der Veröffentlichung des Videos im Mai 2019 regelwidrig Festplatten aus dem Kanzleramt in einer Privatfirma hatte schreddern lassen (die Ermittlungen wurden eingestellt), vergaß nicht nur damals, die Rechnung zu bezahlen. Jetzt konnte er auch nicht erklären, warum er von fünf Druckerfestplatten, die Schredderfirma aber von mindestens einer Laptop-Festplatte gesprochen hatte. Rechtswissenschaftler Mayer sagt dazu gut gelaunt, es stehe "jedem frei, sich als geistig minderbemittelt hinzustellen".

Vor allem jedoch scheint die Zahl der Falschaussagen in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zuzunehmen. Diese sind keine Gerichtsverfahren, aber die Wahrheitspflicht gilt trotzdem.

Justizbeamten wird Amtsmissbrauch vorgeworfen

Derzeit ärgern sich die Abgeordneten über einen Fall besonders. Der hochrangige Beamte im Justizministerium, Christian Pilnacek, und der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Johann Fuchs, stehen im Verdacht, vor dem Ausschuss Informationen zurückgehalten oder verschwiegen zu haben. Seit ein aufmerksamer Mitarbeiter aus dem Justizministerium E-Mails, in denen er in cc gestanden hatte, mit dem abglich, was die beiden Herren vorher ausgesagt hatten, stehen Amtsmissbrauch und falsche Beweisaussage im Raum.

Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Innsbruck; aber im Ausschuss hält man es für wahrscheinlich, dass die Ermittlungen, wie in so vielen anderen Fällen zuvor, demnächst eingestellt werden. Was wiederum ein Politikum wäre, schließlich ist es durchaus brisant, wenn zwei Beamte, die mit der Pflege des Rechts betraut sind, dabei womöglich ein paar Ausnahmen machten.

Die beiden Betroffenen, einflussreiche Beamte mit bestem Kontakt in die Regierung, haben sich bisher nicht geäußert und verweisen auf das noch laufende Verfahren. In einem Fall hatte Pilnacek am 15. Juli 2020 angegeben, dass es im Mai 2019, nach der Veröffentlichung des Videos, keine schriftliche Kommunikation in der Causa Ibiza mit Weisungen des damaligen Ministers Josef Moser gegeben habe. Tatsächlich existierte aber ein E-Mail-Wechsel zwischen Pilnacek und Fuchs, in dem Ersterer sich auf Weisungen Mosers bezieht: Das Video sollte umgehend besorgt werden, die zentrale Kommunikation mit der Öffentlichkeit solle über die Oberstaatsanwaltschaft Wien laufen und die Wirtschaftsstaatsanwaltschaft (WKStA) sollte "keine aktive Rolle" spielen - eine besonders brisante Aussage, weil die WKStA seit Längerem unter dem Druck der Politik und in einem Konkurrenzverhältnis zur Oberstaatsanwaltschaft stand.

Vor Hausdurchsuchungen wurde gewarnt

Die Leiterin der WKStA, Ilse Vrabl-Sanda hatte damals angemerkt, dass aus ihrer Sicht "die OStA Wien (insbesondere unter Leitung von Mag. Fuchs) und Sektionschef Pilnacek gegen die WKStA anstatt mit der WKStA arbeiten". Sollte die Behörde, die eventuell besonders scharf ermittelt hätte, kaltgestellt werden? Moser bestreitet das energisch, alles Unsinn. Er habe damals auf rasche Ermittlungen gedrungen, und selbstverständlich hätte die WKStA die zentrale Anlaufstelle sein müssen.

Pilnacek gab auch an, er habe erst nach ihrer Durchführung von einer brisanten Hausdurchsuchung bei einem Beschuldigten, dem Chef der staatlichen Beteiligungsgesellschaft, Thomas Schmid, erfahren. Das war offenbar nicht ganz richtig, wenn man einen Bericht des Beamten liest, den er selbst verfertigte und der dem Ausschuss vorliegt; darin gibt er an, er habe vorher telefonisch davon erfahren. Pilnacek und Fuchs sind im Dienst und nach wie vor nicht suspendiert.

Ähnliche Vorfälle, ähnliche Ergebnisse kann man dutzendweise finden auf den Webseiten des Parlaments. Da gibt es Listen von gegensätzlichen Aussagen des früheren FPÖ-Innenministers Herbert Kickl und dessen Generalsekretär, Peter Goldgruber, im Ausschuss zur Razzia beim Verfassungsschutz. Trotz eklatanter Widersprüche wurde nicht ermittelt.

Falschaussagen werden fast nie strafrechtlich verfolgt

Auch andere Ermittlungen zu Falschaussagen in diesem Ausschuss wurden eingestellt, Begründung diesmal: Fragen hätten sich auf lang zurückliegende Zeitpunkte bezogen oder seien mehrdeutig formuliert worden. Auch wurde Anzeige erstattet gegen den Parlamentspräsidenten und Vorsitzenden des Ibiza-Untersuchungsausschusses. Wolfgang Sobotka hatte als Zeuge angegeben, für ein von ihm geleitetes Institut habe es von einem Glücksspielkonzern niemals Sponsoring oder Spenden gegeben. Die Neos im Parlament hielten das für "erwiesenermaßen unwahr".

Derzeit liegt eine Anfrage im Justizministerium - aufgelistet sind ein halbes Dutzend Namen von Leuten, die im Ibiza-Ausschuss nicht die Wahrheit gesagt haben könnten. Ob, wann und wie da vorgegangen werde, fragen die Parlamentarier. Die letzten zwei Fragen lauten, "in welchen Fällen wurde Anklage erhoben? In welchen Fällen kam es wann zu einer Verurteilung?" Heinz Mayer ist pessimistisch; nach seiner Erfahrung gehen Staatsanwaltschaften Ermittlungen wegen Falschaussage nur schleppend nach oder gar nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: