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Sars-CoV-2 in Österreich:Muss Tirol in einen verschärften Lockdown?

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Eine Virologin der Universität Innsbruck rät, das Bundesland "einen Monat zu isolieren". Grund sind alarmierende Berichte über die Ausbreitung neuer Corona-Varianten.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die österreichische Regierung prüft derzeit, ob einzelne Teile von Tirol oder vielleicht sogar das ganze Bundesland in einen verschärften Lockdown gehen und unter Quarantäne gestellt werden müssen. Während im Rest des Landes für den kommenden Montag eigentlich Lockerungen geplant sind und Handel und Schulen wieder öffnen sollen, könnte nun für Tirol der gegenteilige Weg eingeschlagen werden. Grund sind alarmierende Berichte über die Ausbreitung neuer Corona-Varianten.

Gestartet hatte die Debatte die Virologin Dorothee von Laer von der Universität Innsbruck; sie hatte bereits vor zwei Tagen Alarm geschlagen und gefordert, das Land Tirol für mehrere Wochen zu isolieren. Von Laer hatte massive Kritik an der Tiroler Landesregierung und den lokalen Behörden im Umgang mit der Ausbreitung der Mutanten geübt. Eine der neuen Corona-Varianten ist deutlich infektiöser als das ursprüngliche Coronavirus. Eine weitere bereits zahlreich in Tirol nachgewiesene Variante scheint in der Lage zu sein, Menschen zu infizieren, die bereits eine Covid-Erkrankung durchlebt haben und eigentlich immun sein sollten. Von Laer warnte vor einem "zweiten Ischgl". Das Land mauere und verschleiere, sagte sie in mehreren Interviews, man müsse Tirol aber "für einen Monat von Österreich und vom Ausland isolieren".

Der Impfstoffexperte Florian Krammer, der in den USA forscht, hält eine Quarantäne für Tirol für "vernünftig", wie er im österreichischen Fernsehen sagte. Man müsse alles tun, um die Ausbreitung noch zu bremsen.

Der Tiroler Impfkoordinator Elmar Rizzoli widersprach im ORF vehement; man habe die Sache im Griff, die Kontaktverfolgung funktioniere, die lokalen Varianten träten nur sehr eng begrenzt auf. Landeshauptmann Günther Platter konnte bisher keine exponentielle Ausbreitung der neuen Virusmutanten feststellen und will jetzt vor allem die Testkapazitäten erhöhen.

In Wien ist die Nervosität allerdings deutlich zu spüren, dass das nicht reichen könnte, zumal schon die für kommende Woche angekündigten, landesweiten Lockerungen von vielen Wissenschaftlern kritisiert und auch von Teilen der Opposition in Frage gestellt worden waren. Die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, selbst Virologin, findet das "Risiko sehr groß" und fürchtet, mit zu frühen Öffnungen bei zu hoher Inzidenz sei der vierte Lockdown eventuell nur eine Frage der Zeit. Die Entwicklung in Tirol gilt daher als zusätzliche Bedrohung. Das Gesundheitsministerium prüft nun offenbar Reisebeschränkungen für jene Gebiete Westösterreichs, in denen die Infektionszahlen steigen. Derzeit würden Verdachtsproben aus Tirol "endausgewertet", heißt es, dann werde man mit dem Land über notwendige Maßnahmen sprechen.

Der Umgang der Tiroler Tourismusregionen mit der Pandemie ist ein Streitpunkt, seit der Skiort Ischgl im Frühjahr 2020 zum Hotspot für das damals neue Virus und zum Symbol für eine Verschleppung der nötigen Vorsichts-und Quarantänemaßnahmen geworden war. In den vergangenen Wochen hatten nun Berichte über Briten die Runde gemacht, die in Jochberg unter dem Vorwand, eine Skilehrerausbildung zu machen, Partys gefeiert und einen Corona-Cluster produziert hatten. Dann folgten Meldungen von offiziell arbeitssuchenden Skitouristen in St. Anton, die sich dort in Zweitwohnsitzen eingemietet hatten; bei Polizeikontrollen waren 44 Unterkünfte kontrolliert und knapp hundert Anzeigen erstattet worden. Zuletzt machte Schwaz Schlagzeilen, weil dort eine südafrikanische Corona-Variante verstärkt aufgetaucht ist. Berichte darüber, dass Tiroler Hoteliers, die zum Golfen in Südafrika waren, das Virus eingeschleppt haben sollen, bestätigten sich aber offenbar nicht. Es gibt jedoch auch zahlreiche Berichte aus den Tiroler Skiregionen über deutsche Zweitwohnungsbesitzer, die trotz der in Deutschland geltenden Beschränkungen nach Tirol zum Skilaufen eingereist seien.

Die Tiroler Landesregierung warnt vor voreiligen Entscheidungen; man habe am Mittwoch ein straffes Fünf-Punkte-Programm zur Bekämpfung der Pandemie erstellt, am Sonntag solle Bilanz gezogen werden. In der Hauptstadt ist man offensichtlich nicht sicher, ob man so lange warten soll - und kann. Noch betont Gesundheitsminister Rudi Anschober auf einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt, man wolle mit der Entscheidung bis kurz vor den angekündigten Lockerungen am Montag warten. Die SPÖ findet aber, bis Sonntag zu warten sei "keine Option".

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