Österreichs konservative Kanzlerpartei ÖVP hat Koalitionsverhandlungen mit der sozialdemokratischen SPÖ abgebrochen. Erst am Freitag waren die liberalen Neos aus den Gesprächen mit den beiden Parteien über die Bildung einer neuen Regierung ausgestiegen. Danach setzten die zwei verbliebenen Parteien Gespräche am Samstagnachmittag fort. Bereits am Abend waren die Gespräche jedoch schon wieder zu Ende. Damit werden Neuwahlen in Österreich wahrscheinlicher.
Zudem will Kanzler Karl Nehammer als Regierungschef und als Chef der konservativen ÖVP zurücktreten. Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen werde er sich in den kommenden Tagen von diesen Posten zurückziehen, sagte er in einer Videobotschaft.
SPÖ und ÖVP konnten in verschiedenen Bereichen nicht zueinanderfinden. Die SPÖ forderte unter anderem, dass der defizitäre Staatshaushalt auf den Schultern reicherer Bevölkerungsschichten saniert werden müsse. Die ÖVP war strikt gegen zusätzliche Steuern. „Eine Einigung ist in wesentlichen Kernmaterien nicht möglich“, hieß es aus der Partei.
Dem österreichischen Standard zufolge sind die Koalitionsverhandlungen letztlich an Fragen der Budgetsanierung gescheitert. Nehammer habe dem SPÖ-Team beschieden, keinen weiteren inhaltlichen Verhandlungsspielraum mehr aus seiner Partei zu bekommen. „Wir haben lange und redlich verhandelt. In wesentlichen Punkten ist mit der SPÖ keine Einigung möglich“, teilte Nehammer bei X mit.
„Es ist augenscheinlich, dass die destruktiven Kräfte in der SPÖ die Oberhand gewonnen haben“, sagte Nehammer weiter. Die Volkspartei stehe zu ihren Versprechen: „Wir werden leistungs- und wirtschaftsfeindlichen Maßnahmen oder neuen Steuern nicht zustimmen. Daher beenden wir die Verhandlungen mit der SPÖ und werden sie auch nicht fortsetzen.“
Auch die SPÖ äußerte sich auf X zum Aus der Gespräche. Man sei bis zuletzt bereit gewesen, „in diesen schwierigen Zeiten für unsere Republik Verantwortung zu übernehmen“. Aber: „Die ÖVP war dazu nicht bereit. Sie hat klargestellt, dass Nehammer von seiner Partei keinen Verhandlungsspielraum bekommt.“ SPÖ-Chef Andreas Babler wertete den Abbruch der Gespräche als schlechte Nachricht für Österreich und sprach von Taktiererei der ÖVP. „Jener Flügel hat sich durchgesetzt, der von Anfang an mit den Blauen geliebäugelt hat“, sagte er unter Verweis auf die Parteifarbe der FPÖ. Jetzt drohe „ein rechtsextremer Kanzler“, sagte Babler.
Kommt jetzt die Stunde der Rechtspopulisten?
Gleichzeitig machte Nehammer klar, dass er weiterhin nicht bereit sei, mit der rechten FPÖ unter Herbert Kickl Koalitionsgespräche zu führen. „Es ist meine tiefe Überzeugung, dass Radikale für kein einziges Problem eine Lösung bieten“, sagte Nehammer. Der Wirtschaftsflügel seiner Partei bevorzugt hingegen eine Koalition mit der FPÖ statt mit der SPÖ.
FPÖ-Chef Kickl erklärte, Van der Bellen, Nehammer und Babler würden vor den Trümmern ihrer „Kickl-Verhinderungs-Strategie“ stehen. Jetzt komme es auf die ÖVP an. Man werde sehen, ob sie das „Machtwort der Wähler“ bei der Parlamentswahl zumindest ansatzweise verstanden habe. Nun liege der Ball bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen, sagte Kickl mit Blick auf einen möglichen Regierungsauftrag, der ihm bisher verwehrt worden war. „Er ist nach den Ereignissen des heutigen Tages unter Zugzwang“, sagte Kickl.
Die Verhandlungen der Mitte-Parteien waren auch ein Versuch, die rechte FPÖ nach ihrem Wahlsieg Ende September von der Macht fernzuhalten. ÖVP und SPÖ hätten im Parlament jedoch nur eine knappe Mehrheit von einer Stimme gehabt.
Wer Nehammer nachfolgen wird, war vorerst ebenso unklar wie die Frage, ob die ÖVP nun als möglicher Juniorpartner mir der FPÖ verhandelt, oder ob Neuwahlen ausgerufen werden. Sollte es zu Neuwahlen kommen, könnte die rechtspopulistische FPÖ auf einen fulminanten Sieg hoffen. Jüngste Umfragen signalisierten ein weiteres großes Stimmen-Plus im Vergleich zur Nationalratswahl. Danach könnte die FPÖ ihr Ergebnis von 29 Prozent noch einmal deutlich auf rund 35 Prozent steigern.
Gerüchte über Comeback von Sebastian Kurz
Österreichische Medien hatten in den vergangenen Tagen Ex-Kanzler Sebastian Kurz unter Berufung auf konservative Kreise als möglichen neuerlichen ÖVP-Chef ins Spiel gebracht. Kurz hatte von 2017 bis 2019 als Kanzler mit der FPÖ und danach mit den Grünen regiert.Wegen Korruptionsermittlungen gegen ihn zog er sich 2021 aus der Politik zurück. Die Untersuchungen zu den Vorwürfen, die Kurz bestreitet, laufen noch. Kurz hat sich zu den Gerüchten über ein mögliches Comeback noch nicht geäußert. Neben Kurz kursiert auch der Name von EU-Ministerin Karoline Edtstadler von der ÖVP für die Nachfolge von Nehammer.