Österreich:Gefühlte Wahrheiten

Österreich: Ferdinand Wegscheider ist Chef des Fernsehsenders Servus TV.

Ferdinand Wegscheider ist Chef des Fernsehsenders Servus TV.

(Foto: ServusTV / Marco Riebler)

Ein Lehrbeispiel für die Verunglimpfung demokratischer Prozesse: Servus TV hat in der Sendung "Der Wegscheider" mehrmals gegen das Objektivitätsgebot verstoßen.

Von Cathrin Kahlweit

Vergangene Woche habe ich an dieser Stelle von dem Buch der Journalistin Hertha Pauli geschwärmt, das vor 40 Jahren veröffentlicht und nun neu aufgelegt wurde. Nur, dass das nicht 40, sondern bereits 50 Jahre her ist, wie mich der freundliche Verlagsleiter nach Lektüre meines Textes wissen ließ. Was dieser jedoch nicht wissen konnte, ist, dass zu meinen sehr vielen Schwächen, zu denen komplette Talentlosigkeit bei Handwerks- und Bastelarbeiten sowie beim Zeichnen gehört, auch die Unfähigkeit zum Rechnen zählt. Ich war also, für meine Verhältnisse, mit zehn fehlenden Jahren schon recht nah dran an der Wahrheit. Und die ist bekanntlich gefühlt und relativ.

Wenn man sich zu dem bekennt, was man alles nicht kann, ist das Päckchen des Lebens bisweilen viel leichter zu ertragen. Was mich unmittelbar zu anderen gefühlten Wahrheiten führt, und zu Servus TV. Dessen Chefredakteur hat, wenn es nach der Medienbehörde KommAustria geht, in mindestens fünf Fällen gegen das für Rundfunk- und Fernsehprogramme vorgeschriebene Objektivitätsgebot verstoßen. Konkret wird Servus TV vorgeworfen, dass in der Sendung "Der Wegscheider" grob verzerrende "Formulierungen und Darstellungen ohne ausreichendes Tatsachensubstrat durch den Moderator der Sendung, Dr. Ferdinand Wegscheider, verwendet wurden". Der Sender hatte die Beschwerden damit abgetan, bei der Sendung handele sich um Satire. Servus TV hat nun offenbar angekündigt, Widerspruch einzulegen - der allerdings, wie der Sprecher der KommAustria wissen lässt, nicht bei seiner Behörde, sondern, auf dem Instanzenweg, beim Bundesverwaltungsgericht eingehen würde.

Entspricht nicht dem Gebot der Objektivität

Die KommAustria hat befunden, dass es in einer Sendung, die "Meinungskommentare mit vereinzelten satirischen Elementen" enthalte, nicht dem Gebot der Objektivität entspricht, wenn etwa in Sendungen vom November und Dezember 2021 mit Blick auf die Covid-19-Pandemie gesagt wird, dass man ja gar keine Ahnung habe, wie und ob die Corona-Impfung wirke, oder dass das Pferde-Entwurmungsmittel Ivermectin, was Wegscheider unterstellt, sehr erfolgreich gegen Covid angewendet werden könnte. Die Regierung, so Wegscheider an anderer Stelle, treffe ihre Maßnahmen auf Basis von Vorhersagen und Mutmaßungen "von ein paar Simulationsforschern", deren Prognosen in all der Zeit noch kein einziges Mal gestimmt hätten. Der Gesundheitsminister wiederum verschweige, so der Kommentator und Chefredakteur, "andere Heilmethoden", weil diese neben der Impfung nicht gewünscht seien.

Das ist dann eben doch, auch nach meiner unmaßgeblichen Einschätzung, beim besten Willen keine relative Wahrheit und schon gar keine Satire. Sondern die Verunglimpfung demokratischer Prozesse, vermischt mit Ahnungslosigkeit und Verschwörungserzählungen.

Diese Kolumne erscheint auch im Österreich-Newsletter, der die Berichterstattung zu Österreich in der SZ bündelt. Gleich kostenlos anmelden.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusExxpress in Österreich
:Das Märchen vom Schlepper

Rechte Medien hetzten gegen den "Tagesspiegel"-Journalisten Sebastian Leber. Nun bekam dieser vor Gericht Recht.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: