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Österreich:"Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher"

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Der ÖVP-Chef und ehemalige Kanzler Kurz tritt von allen politischen Ämtern zurück. Als Grund für seine Entscheidung gibt er die Geburt seines Sohnes an. Es gibt aber auch massive Korruptionsvorwürfe gegen Kurz.

Von Julia Hippert und Cathrin Kahlweit, Wien

Der österreichische Ex-Kanzler Sebastian Kurz zieht sich von allen Ämtern und damit komplett aus der Politik zurück. Kurz, der am 9. Oktober seinen Rücktritt als Bundeskanzler bekannt gegeben hatte, war danach als Abgeordneter ins Parlament gewechselt, Klubobmann (Fraktionschef) der ÖVP im Nationalrat geworden - und Parteichef geblieben. An der Spitze der Partei soll nach Informationen österreichischer Medien Innenminister Karl Nehammer auf Kurz folgen.

In einem Statement begründete der 35-jährige Kurz seine Entscheidung damit, dass sein Engagement in der Politik in den vergangenen zehn Jahren sehr zeitintensiv gewesen sei. Für fast alles andere sei in dieser Zeit keine Zeit gewesen. "Manches ist vernachlässigt worden, insbesondere die eigene Familie", sagte Kurz. Die Geburt seines Kindes habe ihm nun aufgezeigt, dass es auch "Schönes und Wichtiges außerhalb der Politik" gebe.

Er habe Politik immer als Wettbewerb der besten Ideen verstanden. In den vergangenen Monaten sei es aber nicht mehr um die besten Ideen gegangen, so Kurz, sondern nur noch um die Abwehr von Vorwürfen und Unterstellungen. Das sei kräftezehrend gewesen und habe die Flamme der Begeisterung, mit der er für die Politik gebrannt habe, kleiner werden lassen. "Ich möchte nicht behaupten, dass ich nie etwas falsch gemacht habe. Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher", so Kurz. Er freue sich auf den Tag, an dem er vor Gericht die Vorwürfe gegen ihn entkräften könne.

Seit Längerem laufen bereits Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Kurz und sein enges Umfeld. Am 6. Oktober hatten Polizisten zahlreiche Hausdurchsuchungen bei Mitarbeitern von Kurz, im Kanzleramt und in der ÖVP-Zentrale vorgenommen und Hunderte Beweismittel sichergestellt.

Die WKStA untersucht den Vorwurf, dass Kurz und seine engsten Mitarbeiter den Weg vom Außen- ins Kanzleramt ebneten mittels frisierter Umfragen, die eine Meinungsforscherin auftragsgemäß erstellte und in den Medien der Brüder Fellner, Österreich und Oe24, präsentierte. Die Umfragen sollen per Scheinrechnungen abgerechnet worden sein, die das Finanzministerium beglich. Kurz und sein Team stehen daher im Verdacht, mit Steuergeld positive Berichterstattung und geschönte Scheinumfragen für die ÖVP gekauft zu haben. Außerdem wird gegen den Ex-Kanzler und baldigen Ex-ÖVP-Chef auch wegen Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss ermittelt.

Erst vor wenigen Wochen hatte das Parlament die Immunität des Ex-Kanzlers einstimmig aufgehoben. Kurz selbst und die Partei hatten den Schritt unterstützt, um eine rasche Aufklärung zu ermöglichen, wie es heißt.

Im neuen Jahr wolle er sich neuen beruflichen Aufgaben widmen, sagte Kurz weiter. Welche das sind, führte er nicht weiter aus. Tatsächlich war schon länger über einen Wechsel des Politikers in die Wirtschaft spekuliert worden. Mehrere Auslandsreisen, unter anderem nach Irland, und seine mangelnde Sichtbarkeit auf der politischen Bühne in Österreich stützten diese Gerüchte. Zuerst aber wollte Kurz seine Freundin und seinen Sohn aus dem Krankenhaus abholen.

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