Sebastian Kurz ging selbst damit an die Öffentlichkeit. Noch bevor die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien (WKStA) offiziell die Anklage gegen ihn verkündet hatte, teilte Kurz am Freitagmorgen via X, vormals Twitter, mit: Er sei von Journalisten über einen bevorstehenden Strafantrag informiert worden. Der frühere österreichische Bundeskanzler Kurz betonte: "Die Vorwürfe sind falsch und wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen." Dann fügte er noch mit einem P.S. hinzu: Es sei "bemerkenswert und rechtsstaatlich nicht unbedenklich", dass "die Medien einmal mehr vor den Betroffenen über den Verfahrensstand informiert sind".
Vor etwas mehr als zwei Jahren begannen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Kurz, die nun einen rund 100-seitigen Strafantrag vorgelegt hat. Der ehemalige österreichische Bundeskanzler wird sich vor Gericht verantworten müssen. Ihm drohen bis zu drei Jahre Haft wegen einer möglichen Falschaussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
Als Zeuge ist auch Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geladen
Auch sein früherer Kabinettschef Bernhard Bonelli und seine einstige Stellvertreterin als Chefin der konservativen ÖVP, die frühere Casinos-Managerin Bettina Glatz-Kremsner, werden wegen des Vorwurfs der Falschaussage angeklagt. Bonelli soll auch im U-Ausschuss, Glatz-Kremsner außerdem bei einer Einvernahme als Zeugin falsch ausgesagt haben.
Vorerst drei Verhandlungstage - vom 18. Oktober an - sind vor dem Strafgericht Wien für die Hauptverhandlung angesetzt. Die Liste der geladenen Zeuginnen und Zeugen ist prominent: So soll der ehemalige Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache aussagen, der über die Ibiza-Affäre gestürzt ist. Geladen sind auch die ehemaligen Finanzminister Hartwig Löger und Gernot Blümel, beide sind Parteifreunde von Kurz. Mit größter Spannung werden die Aussagen von Thomas Schmid erwartet. Schmids Chat-Nachrichten, die die Ermittler rekonstruiert haben,gaben Einblick, wie das "System Kurz" funktioniert hat: wie Kurz mithilfe frisierter Umfragen und willfähriger Medien an die Spitze der ÖVP gelangte. Schmid versucht, den Status eines Kronzeugen zu erhalten, um eine mildere Strafe zu bekommen, sollte er - wie erwartet - ebenfalls angeklagt werden. In den vergangenen Monaten hat er seinen einstigen Chef mit seinen Aussagen vor Ermittlern massiv belastet.
Der Beschuldigte bestreitet die Vorwürfe
Die WKStA wirft Kurz nun vor, am 24. Juni 2020 falsch ausgesagt zu haben, als er als Auskunftsperson im parlamentarischen Ibiza-U-Ausschuss befragt wurde. Dieser Ausschuss war eingerichtet worden, um mögliche Missstände aufzuarbeiten, nachdem Süddeutsche Zeitung und Spiegel das Ibiza-Video veröffentlicht hatten. Die Abgeordneten wollten unter anderem wissen, ob und gegebenenfalls wie sich der damalige Kanzler in die Bestellung von Thomas Schmid zum Chef der Staatsholding Öbag eingebracht habe. Die Öbag verwaltet die Beteiligungen der Republik Österreich an einigen börsennotierten Unternehmen.
Der damalige Generalsekretär im Finanzministerium soll am entsprechenden Gesetz für die neue Staatsholding mitgearbeitet haben - und am Ausschreibungsverfahren sowie an der Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder, die ihn dann zum Chef bestellten. Die WKStA sieht Widersprüchlichkeiten zwischen Kurz' Aussagen und Chatnachrichten von und an Thomas Schmid.

Newsletter abonnieren:SZ am Sonntag-Newsletter
Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.
Nach Bekanntwerden der Ermittlungen sagte Kurz, man habe ihm im Untersuchungsausschuss "das Wort im Mund umgedreht" und Suggestivfragen gestellt. Auch bei seinen Aussagen vor einem Haft- und Rechtsschutzrichter im Zuge des Ermittlungsverfahrens blieb Kurz dabei, nicht falsch ausgesagt zu haben.
Weitere Ermittlungen gegen Kurz laufen noch. Nach Einschätzung von Experten sind die Vorwürfe in dieser Causa deutlich heikler. Kurz und seinem engeren Team wird vorgeworfen, an mutmaßlich illegalen Deals mit den Boulevardmedien Kronenzeitung, Heute und Österreich mitgewirkt zu haben. Als die Korruptionsvorwürfe im Oktober 2021 publik wurden, zwang der grüne Koalitionspartner Kurz zum Rücktritt als Kanzler. Zwei Monate später verabschiedete er sich aus der Politik und ist nun als Unternehmer tätig. So startete er eine IT-Sicherheitsfirma mit Shalev Hulio, dem Gründer der israelischen NSO Group. Die Firma stellt die berüchtigte Handyüberwachungssoftware Pegasus her.

