ÖsterreichNeuer Anlauf der Austro-Ampel

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Neue Zuversicht in der Hofburg (v.l.n.r.): Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Andreas Babler (SPÖ), Christian Stocker (ÖVP), Beate Meinl-Reisinger (Neos).
Neue Zuversicht in der Hofburg (v.l.n.r.): Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Andreas Babler (SPÖ), Christian Stocker (ÖVP), Beate Meinl-Reisinger (Neos). (Foto: MAX SLOVENCIK/AFP)

ÖVP, SPÖ und liberale Neos verhandeln in Wien über jene Dreierkoalition, die Anfang Januar scheiterte. Warum die Chancen nun besser sind.

Von Verena Mayer, Wien

Einer der häufigsten Sätze, den man in Österreich hören kann, lautet: Nix is fix. Also nichts ist sicher. Er wird verwendet, wenn man die Dinge nicht beeinflussen kann oder im bequemen Zustand des Ungefähren bleiben will. Und oft liefert er eine akkurate Zustandsbeschreibung. Der Politik der vergangenen fünf Monate zum Beispiel.

Es begann damit, dass die konservative ÖVP mit den Sozialdemokraten und der liberalen Kleinpartei Neos über eine neue Regierung verhandelte. Das Dreierbündnis schien in trockenen Tüchern, als plötzlich die Neos ausstiegen und der ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer hinwarf. Sein Nachfolger als ÖVP-Vorsitzender, Christian Stocker, wandte sich, nix is fix, genau jenem extrem rechten Herbert Kickl von der FPÖ zu, mit dem er eine Zusammenarbeit immer kategorisch ausgeschlossen hatte. Auch diese Koalition schien kurz vor dem Abschluss zu stehen, als der ÖVP dann klar wurde, dass sie sich mit der EU-feindlichen und russlandfreundlichen FPÖ nicht würde einigen können. Und seit dem Wochenende steht nun fest, dass ÖVP, SPÖ und Neos wieder in Regierungsverhandlungen eingetreten sind. Also genau jenes Dreierbündnis bilden wollen, das Anfang Januar gescheitert war.

Es gehe darum, „die Stimmung im Land zu sanieren“, sagt der Bundespräsident

Wie fix die Austro-Ampel 2.0 ist, wird die kommende Woche zeigen. Da wollen die Parteien die letzten Hürden aus dem Weg räumen. Inhaltliches wurde bislang nicht bekannt, am Sonntag drangen aber Ideen für die Aufteilung der Ministerien nach außen. So sollen österreichischen Medien zufolge das Innenministerium an die Konservativen, das Außenministerium an die Neos und das Finanzministerium an die Sozialdemokraten gehen. Die Frage, welche Partei welche Zuständigkeit bekommt, hatte zuletzt die Verhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ gesprengt.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich in einer Ansprache am Samstagnachmittag zuversichtlich. Er habe bei allen Parteien die „Bereitschaft geortet, sich auf ein gemeinsames Ziel zu fokussieren“, man sei in die „Zielgerade eingebogen“. Und er skizzierte die Herausforderungen, die auf diese Regierung zukommen. Es gehe unter anderem darum, „die Stimmung im Land zu sanieren“. Die könnte schlechter nicht sein. Österreich steckt in einer Rezession, Energie- und Lebenskosten sind hoch. Und in den kommenden Jahren müssen noch jedes Jahr Milliarden eingespart werden.

Es sei zwar keine leichte Situation, sagte die Vorsitzende der Neos, Beate Meinl-Reisinger, anschließend. Aber man habe die „Blockaden“ aus dem Januar lösen können. Die sich aufdrängende Frage, warum nun funktionieren soll, was vor sechs Wochen unmöglich schien, beantwortete Meinl-Reisinger mit dem Satz: „Es ist vieles grundsätzlich anders geworden.“

Tatsächlich dürften zwei Dinge disziplinierend wirken. Zum einen die geopolitischen Veränderungen seit dem Amtsantritt von Donald Trump. In Zeiten wie diesen müsse, wie es Van der Bellen ausdrückte, nicht nur „Europa zusammenstehen“. Sondern es werde auch von Österreich erwartet, in diesem Europa eine verlässliche Rolle zu spielen. Zum anderen war da der Blick in eine Zukunft unter Herbert Kickl. Die lag auf Papier vor, im Protokoll der gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP. Darin stellte die FPÖ nicht nur Österreichs Rolle innerhalb der EU, die Zusammenarbeit mit der Nato und die Solidarität mit Israel infrage, sie zweifelte sogar Grundsätze der Verfassung wie das Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention an.

In allen drei Parteien kamen Querschüsse aus den eigenen Reihen

Und es dürfte bei den Verhandlungen eine Art von Prozessmanagement gegeben haben. Aus vielen Quellen weiß man inzwischen, dass die monatelangen Gespräche nicht nur daran gescheitert waren, dass die drei Parteien inhaltlich keine Kompromisse fanden. So wollte die ÖVP ihre dezidiert unternehmensfreundliche Politik durchsetzen, die Sozialdemokraten forderten eine Besteuerung Vermögender, und die Liberalen wollten jene Strukturen zerschlagen, die ÖVP und SPÖ über Jahrzehnte hinweg in zahlreichen großen Koalitionen geschaffen hatten. Die Verhandlungen waren auch falsch aufgesetzt. So tagten über Wochen Hunderte Leute in Untergruppen, die sich in Details verzettelten. Dazu kamen in allen drei Parteien Querschüsse aus den eigenen Reihen.

Bei der ÖVP waren es die mächtigen Landeshauptleute, also die Ministerpräsidenten, sowie ein starker Wirtschaftsflügel, die keine Gemeinsamkeiten mit der SPÖ erkannten. Die SPÖ selbst ist ohnehin seit Jahren notorisch zerstritten, und bei den Neos rebellierten Teile der Basis, die den Statuten der kleinen Partei zufolge immer einbezogen werden muss. Viele Neos wollten nicht nur das liberale Anhängsel einer großen Koalition sein.

Auch jetzt gibt es kritische Stimmen; der Tiroler Landessprecher der Neos sieht etwa die Reformvorhaben der Partei nicht hinreichend berücksichtigt. Neos-Chefin Meinl-Reisinger ist dennoch zuversichtlich, dass die Mitgliederabstimmung am kommenden Wochenende zugunsten einer Regierungsbeteiligung der Neos ausfällt. Bis dahin hält es Österreich mit jener Liedzeile von Rainhard Fendrich: Alles ist möglich, aber nix is fix.

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