Österreich:Ohne Anstand

Österreich: Als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij per Video zugeschaltet wurde, verließen die Abgeordneten der FPÖ demonstrativ den Saal. Zurück blieben nur ihre Taferln.

Als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij per Video zugeschaltet wurde, verließen die Abgeordneten der FPÖ demonstrativ den Saal. Zurück blieben nur ihre Taferln.

(Foto: Robert Jäger/dpa)

Die FPÖ verließ vor einer Rede des ukrainischen Präsidenten im Parlament den Saal, ein Großteil der SPÖ-Abgeordneten blieb gleich ganz fern. Warum tun sich österreichische Politiker so schwer damit, eindeutig Position gegen Russlands Angriffskrieg zu beziehen?

Von Cathrin Kahlweit

Die ÖVP macht bekanntlich gern mit Viktor Orbáns Ungarn gemeinsame Sache. Und auch die Kooperation mit Bulgarien, mit dem man gemeinsam schöne, große Zäune gegen Flüchtlinge bauen will, ist, trotz des Fouls in der Schengenfrage, im Wesentlichen von paternalistischer Freundlichkeit geprägt. In beiden Ländern gibt es ein starkes prorussisches Sentiment - in Ungarn von Regierungsseite, in Bulgarien in Teilen der Bevölkerung.

Es waren daher, nicht ganz zufällig, in der EU bisher auch nur die Parlamente von Ungarn, Bulgarien und Österreich, vor denen der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij nicht sprechen durfte, um persönlich für Unterstützung im Verteidigungskrieg gegen Russland zu werben. Die per Freundschaftsvertrag mit der Putin-Partei Einiges Russland verbundene FPÖ war dagegen gewesen, und auch die SPÖ hatte sich zeitweilig geziert. Man redet in Österreich gern davon, dass man militärisch neutral, aber nicht werteneutral sei. Aber mit Ambivalenzen im Verhältnis zu Moskau wird trotzdem Stimmung gemacht.

Nun durfte Selenskij am Donnerstagmorgen doch reden. Dass die FPÖ, wie vorher angekündigt, den Saal verließ, sobald der Präsident zu sprechen begann, war so erwartbar wie zu vernachlässigen. Mit den Freiheitlichen ist außenpolitisch, im wahrsten Sinne des Wortes, kein Staat zu machen. Was auch ihre dämlichen Taferln belegten, auf denen "Platz für den Frieden" stand. Ja eh: Die FPÖ darf mit ihren guten Beziehungen zum Kreml gern dazu beitragen, dass Putin seine Truppen aus der gesamten Ukraine zurückzieht.

Das Verhalten der SPÖ-Abgeordneten ist ein anderes Thema. Von 40 Mandataren waren genau 18 anwesend. Das ist nicht nur peinlich, das ist unsäglich. Eine Partei, die sich gerade selbst zerlegt und mit ihrer unausgegorenen Mitgliederbefragung den Boden für weitere Intrigen, Streitereien und Machtkämpfe legt, wäre gut beraten gewesen, sich zumindest in dieser eindeutigen Frage zu einer eindeutigen Antwort durchzuringen: Russland führt einen mörderischen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland, in dem es mordet, vergewaltigt, foltert. Nun hat der Präsident des angegriffenen Landes eine ohnehin schon sehr vorsichtige Rede gehalten, die in dem Wissen geschrieben ist, dass Österreichs Verstrickungen mit der russischen Wirtschaft und russischen Oligarchen nur mühsam und unwillig entwirrt werden. Und dann will mehr als die Hälfte der Fraktion nicht ihr Gesicht zeigen?

Das ist, wie Armin Thurnhers neues Buch heißt: "Anstandslos". In seinem Essay schreibt der Falter-Herausgeber über "Demokratie, Oligarchie und österreichische Abwege". An diesem Donnerstag konnte man den fatalen Eindruck bekommen, das ist alles eins.

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