Österreich-Kolumne:Der ÖVP muss angst und bange sein

Österreich-Kolumne: Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer mit seinem Vorgänger Sebastian Kurz beim ÖVP-Parteitag im Mai 2022.

Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer mit seinem Vorgänger Sebastian Kurz beim ÖVP-Parteitag im Mai 2022.

(Foto: Georg Hochmuth/dpa)

Die österreichischen Konservativen befinden sich im Sinkflug, und dem Kanzler dürfte offenbar nicht viel mehr einfallen, als die Methoden von Sebastian Kurz aufzuwärmen. Mit fatalen Folgen.

Kolumne von Leila Al-Serori

Manche Jahre fühlen sich länger an als andere, manche Ereignisse liegen im persönlichen Zeitgefühl ewig zurück, auch wenn sie es gar nicht sind. In meinem Empfinden verhält es sich zum Beispiel so mit dem Rücktritt von Sebastian Kurz. Des Wunderwuzzis Karriere endete voriges Jahr im Dezember mit seinem Rücktritt, aber gefühlt ist sein Nachfolger Karl Nehammer schon weitaus länger Kanzler.

Doch wer sich die ÖVP im heutigen Zustand ansieht, erkennt recht schnell, dass so viel Wasser die Donau noch nicht hinuntergeflossen ist. Zeitweise trat mit dem Wechsel an der Regierungsspitze zwar Ruhe ein. Nehammer pflegte einen sachlicheren Stil, tauschte ein paar der engeren Kurz-Anhänger als Minister aus, war um Abgrenzung bemüht.

Aber nun befindet sich die Partei in Umfragen im Sinkflug, und Nehammer dürfte offenbar nicht viel mehr einfallen, als die Methoden seines Vorgängers aufzuwärmen. In keinem Land der EU ist Migration so ein Thema wie in Österreich. Und das nicht, weil die Menschen dort tatsächlich keine anderen Probleme hätten, wie überall in Europa leiden auch die Österreicher unter der massiven Inflation, den Gaspreisen und anderen Folgen des Krieges. Aber die ÖVP spricht lieber von "Asyltourismus", macht massiv Kampagne und bringt sogar die halbe EU gegen sich auf, weil sie sich gegen den eigentlich schon längst abgemachten Schengenbeitritt von Rumänien und Bulgarien stellt.

Dazu kommt, dass Nehammer sich vor ein paar Wochen ausgerechnet Gerald Fleischmann als Kommunikationschef der ÖVP zurückgeholt hat. Bis zum Abgang von Kurz war er einer der mächtigsten Männer hinter den Kulissen, gilt bis heute als Erfinder und Exekutor der sogenannten Message Control, also der straff organisierten, gleichgeschalteten Medienpolitik der ÖVP, die auch vor regelmäßigen Interventionen in den Redaktionen des Landes nicht haltmachte. Dass gegen ihn wie auch gegen Kurz und viele andere im Umfeld des Ex-Kanzlers die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit und Untreue ermittelt, gilt der ÖVP offenbar nicht als Gegenargument, um Fleischmann wieder die Kommunikationsagenden zu übertragen. Nehammer und der ÖVP muss es also wirklich angst und bange sein.

Hintergrund dafür ist die anstehende Landtagswahl im ÖVP-Herzland Niederösterreich, die die Konservativen unbedingt gewinnen wollen.

Es mag sich unglaublich anhören, dass die Sorge vor einem schlechten Abschneiden in einem österreichischen Bundesland mit gerade 1,7 Millionen Einwohnern tatsächlich Motivation für die sich europaweit auswirkende Schengenblockade zweier EU-Mitgliedsländer sein soll. Aber das sind die Methoden der ÖVP. Ein Jahr ist eben doch keine lange Zeit, um sich moralisch wieder zu reformieren.

Politologe Peter Filzmaier, Österreich-Korrespondentin Cathrin Kahlweit, stv. Nachrichtenchefin Leila Al-Serori und Audio-Chef Vinzent-Vitus Leitgeb haben über die ÖVP ein Jahr nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz bei der "Buch Wien" Ende November debattiert. Die Live-Aufzeichnung können Sie hier im Podcast "Das Thema" nachhören.

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