MeinungÖsterreich:Österreichs Politiker müssen Vertrauen zurückgewinnen

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Kolumne von Verena Mayer

Lesezeit: 2 Min.

Parteichef Christian Stocker und seine ÖVP gaben in dieser Woche bekannt, dass sie keine Koalition mit der FPÖ eingehen werden. (Foto: Foto: Georg Hochmuth/dpa)

In einem Land, das sich im politischen Schockzustand befindet, hat die ÖVP im letzten Moment eine Koalition mit der FPÖ abgelehnt. Aber reicht das, um Angst und Vertrauensverlust zu überwinden?

Die Physiologie weiß von drei Möglichkeiten, wie der menschliche Körper auf Krisen reagiert. Flight, fight, freeze. Also entweder man kämpft, flüchtet oder friert in einer Art Schockzustand ein. Das Prinzip lässt sich auf viele Bereiche ausdehnen. Nicht zuletzt auf die Politik, wo man ähnliche Mechanismen beobachten kann, wenn es um die Bewältigung von Krisen geht.

Österreich befindet sich schon länger in einer Krise. Seit 140 Tagen hat das Land keine Regierung, es erlebt einen wirtschaftlichen Abschwung und eine hohe Inflation, der Haushalt ist so überschuldet, dass die EU demnächst ein Defizitverfahren starten dürfte. Die Reaktion auf all das ist ein politischer Freeze-Zustand. Erst verhandelten die konservative ÖVP, die Sozialdemokraten und liberalen Neos monatelang aneinander vorbei, als gelte es, die althergebrachte große Koalition zu bilden, von denen das Land schon so viele gesehen hatte (und dabei einen gewissen Überdruss entwickelte), nur mit einem liberalen Anhängsel. Als das nicht klappte, wandte sich die ÖVP entgegen ihren Wahlversprechen der FPÖ zu, um deren extrem rechten Chef Herbert Kickl zum Kanzler zu machen.

Die vergangenen Wochen in Wien kann man nur als kollektives Einfrieren bezeichnen. Es war, als wollten weite Teile einer konservativen, in ihrem Selbstverständnis christdemokratischen Partei und viele, die dieser Partei nahestehen, nicht wahrhaben, was sie da gerade tun. Einem Mann an die Macht zu verhelfen, der vollkommen transparent in dem ist, was er mit Österreich vorhat: das Land nach außen zu isolieren und von der EU abzuschotten und nach innen eine rückwärtsgewandte bis repressive Gesellschaftsordnung durchzusetzen.

Eine Symbolfigur für dieses Ausblenden der Realität war für mich Georg Knill, Präsident der mächtigen Industriellenvereinigung, der Interessenvertretung der Industrie und Banken, die traditionell der ÖVP nahesteht. Ich sprach mit ihm, nachdem jenes 230-seitige Protokoll der Koalitionsverhandlungen an die Öffentlichkeit gelangt war, in dem schwarz auf weiß stand, wie wenig sich die FPÖ an die Regeln der EU gebunden fühlt. Auf die Frage, ob dieser EU-feindliche Kurs nicht ein Problem für ihn als Wirtschaftsvertreter sei, antwortete Knill, das sei kein Knackpunkt mehr, die FPÖ habe sich in den Verhandlungen diesbezüglich bewegt. Wie sehr, hat Kickl noch mal verdeutlicht, nachdem er den Auftrag zur Regierungsbildung wieder zurückgelegt hatte: Er wolle ein Österreich, das sich nicht unter eine „Brüsseler Konzernzentrale“ unterwerfe.

Diese Woche erwachte die ÖVP schließlich aus dem Freeze-Modus und der Vorsitzende Christian Stocker sprach das Offensichtliche aus: dass seine Volkspartei nicht Juniorpartnerin von Herbert Kickl werden könne.

Nun ist die Frage, wie die weitere Reaktion auf die Krise ist. Die Parteien der Mitte haben angekündigt, kämpfen zu wollen, doch noch einen Kompromiss zu suchen, in einer Dreierkoalition oder Minderheitsregierung vielleicht. Aus der Physiologie ist aber jetzt schon klar, was der Freeze-Zustand beim Menschen bewirkt. Man hat das Gefühl des Kontrollverlusts, wird ängstlich, verliert das Vertrauen. Und wenn in der Politik Angst und Vertrauensverlust herrschen, dann geht auch das Vertrauen in die politischen Prozesse verloren. Die Zuversicht, eine Krise mit demokratischen Mitteln bewältigen zu können. Und das wäre das Schlimmste, was einem Land passieren kann.

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