Im Österreich-Newsletter vom 24. Februar 2023 hat Cathrin Kahlweit über Österreichs Neutralität und ein Interview dazu von Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) geschrieben. Ein Thema, das auch viele Leserinnen und Leser bewegt.
Folklore und Naivität
Die österreichische Neutralität ist eine Mischung aus Trittbrettfahrertum, Folklore und Naivität: Neutralität impliziert die Fähigkeit, diese Neutralität gegenüber Drittstaaten zu verteidigen, Österreich ist aber derzeit nicht verteidigungsfähig. Man verlässt sich auf die umliegenden Nato-Staaten und die Beistandsklausel des EU-Vertrags. Aufgrund der fast schon mythischen Bedeutung der Neutralität in der österreichischen Bevölkerung traut sich kein Politiker in Regierungsverantwortung zuzugeben, dass Österreich derzeit nicht verteidigungsfähig ist und die Neutralität daher keinen Wert hat bzw. wenig bis gar nichts zur Sicherheit Österreichs beiträgt. Ein Großteil der Bevölkerung verbleibt daher im Irrglauben, dass Österreich durch seine Neutralität gegen einen allfälligen Angriffskrieg eines Drittstaats geschützt sei. Thomas Pichler, Wien
Neutralität ist identitätsstiftend
Die Neutralität ist ein hehres Gut! Sie hat das Renommee Österreichs weltweit gefördert. Frau Edtstadler hat völlig recht: Sie ist identitätsstiftend. Sie wird von keinem anderen Land angezweifelt oder infrage gestellt und sie wird akzeptiert. Das bietet uns seit vielen Jahren Schutz. Wenn man wie ich seit der Volksschule (also seit mehr als 50 Jahren) den Wert der Neutralität verinnerlicht, anerkannt und erlebt hat, dann kann man die Aussagen von Frau Edtstadler nur voll und ganz unterstützen. Wer hier andere Ansichten vorzieht oder gar die Abschaffung der Neutralität fordert, hat sich mit dem Thema nicht wirklich auseinandergesetzt oder es einfach nicht verstanden, wie wichtig die Neutralität für Österreich immer noch ist. Österreich fährt als neutraler Staat nicht schlecht und steht weltweit gut da. Dass sollte man nicht mutwillig oder vorschnell ändern. Walter Harand, Ehlershausen (Niedersachsen)
Klares Bekenntnis zu Europa
Meiner Meinung nach sollte Österreich die Neutralität abschaffen und sich endlich klar zu Europa bekennen, mit allen Konsequenzen. Eva Maria Greiner, Sierning (Oberösterreich)
Defensive Armee der Schweiz als Vorbild
Edtstadler hin oder her - Österreichs Neutralität sollte unbedingt aufrechterhalten bleiben; ein Eintritt in die Nato weiterhin nicht erfolgen. Ohne Wenn und Aber. Die Kriegspropaganda der Medien ist schon seit Langem unerträglich geworden. Ich wünschte mir, Deutschland hätte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls für neutral erklärt. Das Schweizer Vorbild einer rein defensiven Armee bei strikter Neutralität ist für mich das, dem man folgen sollte. Petra Dibba-Meven, Düsseldorf
Sympathisanten für Putins Russland
Ich bin der Meinung, dass der Mythos Neutralität eine typisch österreichische bequeme Lebenslüge ist. Im Falle eines dritten Weltkriegs würde Österreich, "neutral", wie es ist, um zu überleben, Russland sich als Aufmarschgebiet anbieten müssen. In Österreich gibt es am rechten und linken Rand deutlich mehr Sympathisanten für Putins Russland als anderswo. Univ. Lektor Dr. Peter Battistich, Wien
Schon in Teilbereichen Nato-Mitarbeit
Tatsache ist, dass die Erklärung der "immerwährenden Neutralität" eine Bedingung der Sowjetunion war, damit Österreich den Staatsvertrag und in weiterer Folge seine Unabhängigkeit wiedererlangte. Insofern mag es damals für alle Beteiligten sinnvoll gewesen sein, dass ein neutrales Österreich gleichsam einen Puffer zwischen dem Warschauer Pakt und der Nato bildet. Wobei diese Neutralität im Falle einer militärischen Auseinandersetzung der beiden Blöcke ebenfalls keine Sicherheit gewährt hätte und höchstwahrscheinlich einen militärischen Übergriff nicht verhindert hätte! Und heute? Heute ist Österreich ausschließlich von befreundeten (hauptsächlich Nato-)Staaten umgeben und wiegt sich damit in Sicherheit (ist ja auch billiger und bequemer so). Für mich steht fest, dass Österreich spätestens seit dem EU-Beitritt nicht mehr uneingeschränkt neutral sein kann, und für mich wäre auf jeden Fall auch ein Beitritt zur Nato wünschenswert! Es gibt auch jetzt schon in Teilbereichen eine Mitarbeit an Programmen der Nato, daher lieber unter ihrem Schutzschirm (wo sich bereits jetzt bis auf Österreich, Zypern Irland und Malta sämtliche EU-Staaten befinden) als im Ernstfall allein und hilflos (dafür aber neutral). Friedrich Sailer, Raiding (Burgenland)
Schreckliche Ereignisse in der Ukraine
Warum sollten wir die Neutralität aufgeben? Welchen Nachteil haben wir mit ihr, welchen Vorteil hätten wir ohne sie? Ich finde ganz ehrlich, man muss jetzt angesichts der schrecklichen Ereignisse in der Ukraine nicht unbedingt den Rüstungsfreunden und Waffenlieferern nacheifern. Das kleine Österreich wird so oder so nichts ändern können. Also bleiben wir militärisch neutral und unterstützen die Ukraine humanitär und moralisch, ohne zu vergessen, dass auch dort noch nie astreine Demokraten regierten. Anton Jakob, Dachau (Bayern)
Feiger, schmarotzender Wegducker
Österreichs Image innerhalb der EU wurde aufgrund zahlreicher peinlicher und vor allem unsolidarischer Aktivitäten schon in den letzten Jahren schwer ramponiert. Durch kompromissloses Festhalten an der Neutralität und Verweigerung eines ergebnisoffenen Diskurses outet sich Österreich einmal mehr als Nation feiger, verantwortungsloser, schmarotzender Wegducker. PolitikerInnen aller anderen Parteien, die sich so vehement für den Beibehalt der Neutralität auf Punkt und Beistrich aussprechen, ignorieren vorsätzlich die Realität und verhalten sich gegenüber PolitikerInnen und BürgerInnen von Nato-Staaten in höchstem Maße unfair. Die im Falle einer ernsthaften militärischen Bedrohung systemimmanente und akute Hilflosigkeit würde massive Unterstützung von AUSSEN erfordern und unser Image als feige, schmarotzende Bittsteller zusätzlich bestätigen. Michael Czerny, Sulz (Vorarlberg)
Wien vielleicht als Verhandlungsort
Dass die Neutralität Österreichs in der gegenwärtigen Situation - d. h. im Ukrainekrieg eine moralisch sehr problematische Position darstellt, steht außer Frage. Andererseits handelt es sich bei Österreich um das einzige Land, aus dem sich die Sowjetunion schon vor ihrem Zusammenbruch freiwillig zurückgezogen hatte - und das um den Preis einer "immerwährenden" Neutralität. Unter diesem Label hat sich das Land seither immer mehr zu einer Art Schweiz 2.0 entwickelt, wo man sich recht unbehelligt als z. B. Bundesbürger mit Milliardenerbe oder Milliardenunternehmen mit dem vielen Geld "niederlassen" kann. Das gilt ja wie bekannt auch vielen reichen Russen. Dass darüber hinaus viele österreichische Unternehmen und auch Banken viel Geld mit Gas und Öl aus Russland verdienten und verdienen, freut nicht nur die FPÖ, sondern auch viele andere Bürger des Landes. Dieser Freude lautstark Ausdruck zu geben wäre gegenwärtig ein No-Go, wenn man den größeren und den ganz großen Bruder Bruder nicht vor den Kopf stoßen will. Aber wenn irgendwann einmal Russland und die Ukraine gezwungenermaßen einen Waffenstillstand aushandeln werden: Wo kann das dann stattfinden, und wer kann daran verdienen? Budapest, Istanbul oder Wien? London, Berlin, Washington wohl kaum. Philipp Blau, Gistrup (Dänemark)
Mit keiner Seite verderben
Es passt zur österreichischen Mentalität, sich nicht festzulegen, da man ja im Falle des Falles sich die Geschäftemacherei mit jeder Seite nicht verderben lassen möchte. Die eigentlich notwendige Diskussion dieses Themas ist politisch nicht gewollt, um die Wähler der FPÖ und der ÖVP und wahrscheinlich auch einen Teil der SPÖ-Klientel nicht zu verärgern. Es ist ein Trauerspiel, aber für vieles hier recht symptomatisch. Solveig John, Mödling (Niederösterreich)
Es ist unmöglich, neutral zu bleiben
Meines Erachtens ist es unmöglich, in irgendeiner Frage des menschlichen Lebens, gleich in welcher Form diese an uns herangetragen wird, neutral zu bleiben. Niemand, welcher Unrecht zulässt, ist dem Opfer gegenüber "neutral" geblieben. Er hat die Tat zugelassen und ist daher zumindest so schuldig wie der Täter, zumal wenn er dessen Tat hätte verhindern können. Dann wiegt, meines Erachtens, die Schuld des Gleichgültigen noch deutlich schwerer. Sollte sich Österreich allen Ernstes als Teil der demokratischen Staatengemeinschaft Europas verstehen, so hat es in diesem Bündnis nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Und ein Kleinstaat sollte ohnedies nicht allzu stark auf seine "Souveränität" pochen - denn wer wird ihn schirmen, so sich die Großen streiten? Mag. Götz Wagemann, Wien
Feige und verantwortungslos
Ich empfinde die Neutralität Österreichs (wie auch die der Schweiz) als feige und vor allem auch als verantwortungslos gegenüber der Idee von Demokratie, denn ein demokratisches Staatssystem sichert die Freiheit. In Zeiten wie diesen, wo demokratische Staaten einer immer größer werdenden Zahl autokratischer Staaten gegenüberstehen und Russland vor unserer Haustür völkerrechtswidrig Krieg gegen die Ukraine führt, kann sich m. E. kein demokratisches Land mehr Neutralität leisten, wie Schweden und Finnland richtig erkannt haben. In der Welt von heute ist Neutralität keine Option mehr, sondern schlicht und ergreifend verantwortungslos und weltfremd. Susanne Bartsch, Trabitz (Bayern)
Bei Bedrohung Unterstützung erwarten
Österreich ist in Sicherheitsfragen ein "Rosinenpicker". Will sich nicht an militärischen Bündnissen beteiligen - erwartet aber von Nationen die einem solchen angehören, dass diese im Falle einer Bedrohung sie unterstützen und verteidigen. Hans Hoffsteter, Kleinblittersdorf (Saarland)
Sicherheitsdoktrin überdenken
Die Sicherheitsarchitektur unseres Landes ist so angelegt, dass wir uns die immerwährende Neutralität in Moskau "ersaufen" und dann augenzwinkernd in den Folgejahren davon ausgehen, dass uns unsere europäische Nachbarschaft und die Nato im Falle des Falles schon aus der Situation rausholt, wenn der Hut wirklich brennt. Einfach deshalb, weil wir einfach die lieben, netten Ösis, die mit den Mozartkugeln und dem Opernball und die mit dem besten Kaiserschmarrn sind. Mit andern Worten: charmante Trittbrettfahrer auf dem sicherheitspolitischen Parkett Europas. Die Schweden und die Finnen haben hingegen ihre klaren Schlüsse aus dem brutalen Amoklauf des Herrn Putin gezogen und um den Beitritt zur Nato angesucht. Wohl aus der der Erkenntnis heraus, dass man für seine nationale Sicherheit nicht nur nehmen kann, sondern auch geben muss bzw. dass eine Beistandsgarantie der Nato mehr wert ist als ein Stück Papier. Selbst die Schweizer geben ein Vielfaches vom österreichischen Verteidigungsbudget für ihre eidgenössische Sicherheit aus, obwohl die Schweiz als "Banksafe der Welt" noch ganz andere Assets und Vorteile anbieten kann, um nicht von einem feindlichen Aggressor überrannt zu werden. Im Fall des Falles stehen wir als Österreich ziemlich "lonely" da, und die vermeintlichen Partner und Nachbarstaaten werden uns genüsslich den "Mittelfinger" entgegenstrecken. Der Ukrainekrieg sollte uns Anlass genug sein, unsere Sicherheitsdoktrin gründlich zu überdenken. Bernd Jochum, Brixlegg (Tirol)
Nur nicht Verantwortung übernehmen
Ich bin 66 Jahre alt, verfolge als Auslandsösterreicher dieses Theater schon Jahre. Wir gehören seit dem Zweiten Weltkrieg der westlichen Wertegemeinschaft an. Als sicherheitspolitische Trittbrettfahrer fühlten sich die Regierenden immer sehr wohl. Nur nicht Verantwortung übernehmen, sich nicht einmischen, auch wenn ein Gangsterregime das Nachbarland mit Mord und Vernichtungsandrohung überfällt. Ich finde diese Haltung feige und beschämend. Wir hatten nur sehr viel Glück in den Jahren seit 1955. Ich hoffe, dass die Politik endlich mal Rückgrat zeigt und dem Volk erklärt, wie unsere Sicherheit im Falle eines Angriffes alleine zu gewährleisten ist. Hannes Warump, Maspalomas (Gran Canaria)
Komfortabler Sonderstatus
Aus meiner Sicht verhält es sich mit der österreichischen Neutralität so ähnlich wie mit der der Schweiz. Wenngleich die österreichische natürlich wesentlich jünger ist als die Schweizer und wenngleich die österreichische mehr noch als die Schweizer im Ernstfall sicher nicht durchgehalten werden würde; einfach weil dazu die Mittel fehlen. Das Bundesheer ist ja sogar wohl noch ausgezehrter als die deutsche Bundeswehr. Immerwährende Neutralität zu versprechen, was nach meiner Erinnerung Voraussetzung für Nachkriegsösterreichs Entlassung in die Unabhängigkeit war, war da natürlich eine sehr feine Sache. Man konnte sich sicher fühlen, hatte einen komfortablen Sonderstatus, der während des Kalten Krieges Entwicklungsmöglichkeiten bot (die auch aktuell wieder bei Russlandgeschäften genutzt zu werden scheinen), und man war auf einen Schlag wieder moralisch hochwertig. Da lebte es sich dann moralisch sehr rasch wieder sehr komfortabel, und diesen moralischen Komfort mag man dann nicht mehr aufgeben. Christoph Ann, Stellenbosch (Südafrika)
Trittbrettfahrerei endlich einstellen
Unsere Neutralität haben wir spätestens mit dem EU-Betritt und der Euro-Einführung ohnehin aufgegeben, denn im Staatsvertrag steht auch geschrieben, dass es keine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland geben darf. Wir haben aber die gleiche Währung und einen gemeinsamen Binnenmarkt. Natürlich werden uns unsere Nachbarstaaten nicht angreifen, aber wir sollten sie durch einen Nato-Beitritt unterstützen und uns somit an den Kosten der Verteidigung anteilsmäßig beteiligen, uns somit solidarisch zeigen und die sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei endlich einstellen. So sehe ich das, aber das ist leider eine Minderheitsmeinung. Franz Kern, Linz
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