Nationalratswahl:Rechtsruck in Österreich

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Knapp 6,4 Millionen Wahlberechtigte waren am Sonntag in Österreich aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. (Foto: AFP)

Die äußerst rechte FPÖ unter Führung von Herbert Kickl gewinnt laut Hochrechnung die Nationalratswahl klar. Offen bleibt zunächst, welche Parteien eine Regierung bilden können.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Mit einem so deutlichen Wahlsieg hatte selbst die FPÖ wohl nicht mehr gerechnet. 28,8 Prozent laut Hochrechnung – das ist mehr, als alle Umfragen der vergangenen Tage vorhergesagt hatten – und etwa doppelt so viel, wie die in Teilen rechtsextreme Partei bei der letzten Wahl 2019, kurz nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos, holen konnte.

Damit hat sich der Rechtsruck, der sich in weiten Teilen Europas vollzieht, in Österreich fortgesetzt. Und die FPÖ, die als Partei von Altnazis startete und mit einer fremdenfeindlichen Agenda schon in den 90er-Jahren zulegte, hat offenbar ihr Ziel erreicht: Sie dürfte stärkste Partei im österreichischen Parlament werden. Die ÖVP hatte sich Hoffnungen gemacht, die Rechtspopulisten noch zu überholen. Deren Spitzenkandidat, Karl Nehammer, hatte sich Mitte September im Hochwasser als „Krisenkanzler“ inszeniert und die Vermutung befeuert, dass die schwarz-grüne Regierung noch zulegen könnte. Nun liegt die ÖVP laut Hochrechnung mit 26,3 Punkten klar hinter der FPÖ.

Die SPÖ, die schon 2019 mit 21,2 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Nationalratswahl einfuhr, hat unter ihrem neuen Vorsitzenden Andreas Babler noch einmal leicht verloren, auf 21,1 Prozent. Deutlich eingebüßt haben die Grünen, die vor fünf Jahren mit knapp 14 Prozent ins Parlament eingezogen waren. Auch hier setzt sich der europaweite Trend fort: Sie landeten bei 8,3 Prozent und werden wohl nicht mehr in der Regierung sein. Darauf wiederum können sich die liberalen Neos Hoffnung machen; sie werden als Mehrheitsbeschaffer für eine Koalition aus ÖVP, SPÖ und Liberalen gehandelt und konnten von 8 auf 9,2 Prozent zulegen. Möglicherweise werden sie aber gar nicht gebraucht. Am Ende könnte es auch für ÖVP und SPÖ alleine knapp reichen.

Es liegt jetzt an Bundespräsident Alexander Van der Bellen, ob er der stärksten Partei, der FPÖ, einen Regierungsbildungsauftrag erteilt. Bleiben alle anderen Parteien bei einem Nein, würde ihr Parteichef Herbert Kickl keine Mehrheit zusammenbekommen. Dann würden weitere Sondierungen starten. Denn bei einem solchen Wahlergebnis dürfte die FPÖ Kickl, wie es etwa die ÖVP fordert, kaum aufs Abstellgleis schicken.

Großes Thema war die Migration, die FPÖ will keine Asylanträge in Österreich mehr zulassen

Die Wahl war unter anderem durch eine besonders starke Mobilisierung und eine entsprechend hohe Wahlbeteiligung geprägt; sie lag bei 78 Prozent. Bei knapp 6,4 Millionen Wahlberechtigten war auch die Zahl der sogenannten Wahlkarten, also der Briefwähler, mit mehr als 22 Prozent ungewöhnlich hoch. Und: Der Bundestagswahlkampf war ungewöhnlich lang gewesen. Eigentlich war er schon mit zwei Landtagswahlen zu Jahresbeginn gestartet, als in Niederösterreich und Salzburg überraschend Koalitionen aus ÖVP und FPÖ gebildet worden waren – entgegen vorheriger Zusicherungen vonseiten der Konservativen, dass man mit der FPÖ nicht zusammenarbeiten wolle. Ähnliche Bedenken hatte auch Bundeskanzler Nehammer ausgelöst, als er im Wahlkampf der vergangenen Wochen immer wieder betonte, er werde keinesfalls eine Regierung mit Kickl bilden – mit der FPÖ und ihren „vernünftigen Kräften“ allerdings schon.

Großes Thema war die Migration, die FPÖ will keine Asylanträge in Österreich mehr zulassen und die Außengrenzen dichtmachen. Zwei Tage vor dem Wahlsonntag bekam dann auch die Debatte über die Nähe der FPÖ zu Rechtsextremen und die Relativierung von NS-Verbrechen noch einmal neue Nahrung, als ein Video öffentlich wurde, bei dem hochrangige FPÖ-Politiker, darunter auch Nationalratskandidaten, ein SS-Lied sangen. Dem Zuspruch der Wähler für die FPÖ tat das offenbar keinen Abbruch.

Das Ergebnis vom 29. September dürfte die österreichische Parteienlandschaft stark durcheinanderwirbeln. Seit Wochen schon halten sich Gerüchte, dass der SPÖ-Vorsitzende Babler bei einem schlechten Ergebnis entweder zurücktreten oder zum Rücktritt gezwungen werde. Um eine Dreierkoalition von ÖVP, SPÖ und den Neos zu ermöglichen, wäre ein SPÖ-Vorsitzender, der von den im Programm festgeschriebenen Forderungen nach Erbschafts- und Vermögensteuer abrückt, in den Augen vieler Sozialdemokraten nötig. Die ÖVP hatte schon im Wahlkampf ausgeschlossen, dass man sich auf die „Steuern für Superreiche“, die Babler einführen will, einlassen werde. Ein SPÖ-Chef aus dem Wiener Umfeld um Bürgermeister Michael Ludwig gilt daher als wahrscheinlich.

Aber auch das politische Überleben von Kanzler Karl Nehammer, der das Amt nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz Ende 2021 übernommen hatte, ist nicht gesichert. 37 Prozent wie 2019 unter Kurz würde es nie wieder geben, davon war man in der ÖVP ausgegangen. Aber Umfragen hatten darauf hingedeutet, dass Nehammer mindestens ein Kopf-an-Kopf-Rennen schaffen würde. Ein so deutlicher Abstand, wie die Hochrechnungen andeuten, war nicht erwartet worden.

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